Beginnen wir mit einer kleinen, persönlichen Geschichte: Im August hatte ich ein Date. Es war berstend heißer Sommer, einer der heißesten Tage des Jahres. Wir spazierten unter den gewaltigen Bäumen des Wittelsbacher Parks dahin, und als ich meine Wasserflasche zurück in meine Tasche stopfte, rutschten mir ein paar meiner Flyer in die Hand. Also wedelte ich mit den Dingern vor seiner Nase herum – und erntete sein erstauntes „Gehört das ,Du’ nicht groß? Du oder du?“.
Ich empörte mich künstlich: Neinnein, das sei schon alles richtig so. Kleingeschrieben hätte sich doch längst etabliert! Ein klein geschriebenes „du“ sei „viel lässiger“ (O-Ton: Werbefachleute). Er, seines Zeichens Sohn eines Deutschlehrers, staunte nicht schlecht.
Woran man mal wieder sieht, wie einen die eigenen Lebensumstände und damit Perspektive die Wahrnehmung dieser Welt prägen.
Schau Dich nur mal im Internet um: Die meisten Websites, Blogs und Social Media Accounts duzen Dich, ungefragt, weil – so Empfehlung der Marketing-Gurus – „Das vermittelt Nähe und baut viel mehr Vertrauen auf!“ Vertrauen schürt Verkäufe. Dingdong! Haben wir den Respekt zugunsten des Kommerz’ verloren? Schauen wir uns das Thema hier mal näher an. Und entscheide Du am Ende selbst, ob Du „du“ künftig vielleicht sogar auch wieder lieber groß schreiben willst …
Du oder du – klein oder groß schreiben?
1. Nach der Rechtschreibreform 1996 kann die ehemals immer groß geschriebene Anrede „Du“ ab sofort auch klein geschrieben werden.
2. Als Begründung für diese Empfehlung wird die Vereinfachung genannt.
3. Das Argument kullert aber spätestens in dem Moment in den Keller, wenn wir folgenden Fall ansehen: „Ihr/ihr“ (Anrede im Plural). Dafür gibt die es keine eindeutige Empfehlung, ob man das nun groß oder klein schreiben soll. Umso schlimmer, weil das exakt wie das konjugierte „ihr“ (von „sie“) aussieht. Um diese Ähnlichkeit zu vermeiden, sollte das „Sie“ ja überhaupt erst groß geschrieben werden … 😵💫#mussmannichtverstehen
4. Das groß geschriebene „Sie“ drückt sprachlich explizit die Höflichkeit aus.
5. These I Ein privates „du“ verdient demnach also weniger Höflichkeit?
6. These II Verleitet ein klein geschriebenes „du“ im Internet zu Pöbeleien?
7. Am Ende entscheidet immer noch der Kontext.
8. Oder deine eigene Umgangsformeln.
9. Mach dich darauf gefasst, dass dich das Verlernen einiges an Energie kosten wird.
10. Ich persönlich leiste es mir dennoch! ッ
Gewohnheiten ändern dich
Dass man sich seinen Kopf ernsthaft wegen Kopf um eine Groß- oder Kleinschreibung zerreißt, mag nun wirklich miriammäßig monkmäßig sein. So habe ich mich ja auch mit dem Gendern monatelang beschäftigt. Auch wegen richtig gesetzter Bis-Striche habe ich in Agenturzeiten heftige Diskussionen geführt: Denn den eigentlich richtigen hält heute jeder für falsch. Weil alle, sogar die großen Zeitungen, meistens den falschen verwenden.
Wenn alle das Falsche für richtig halten, ist es dann automatisch richtig?
Ist ein groß geschriebenes „Du“ nicht total altmodisch?
Es wirkt mittlerweile so. Zumindest, wenn man es selbst lang genug klein geschrieben hat.
Wenn ich mal Newsletter erhielt, in denen das „Du“ groß geschrieben war, zuckte in mir immer etwas zusammen, as sofort den Rotstift zucken mochte.
Orthographisch falsch ist es aber keineswegs – dazu später mehr.
Warum ich mir das kleingeschriebene „du“ derzeit für Dich wieder abgewöhne
Es ist meine eigene kleine Respekt-Bekundung Dir gegenüber. Und für den Neustart von Auxkvisit, wo nun alles ein bisschen erwachsener und seriöser zugehen darf, da scheint mir die alte Ansprache mit dem „ihr/euch“ nicht mehr zu passen. (Das kleine du mochte ich also noch nie besonders!)
Theoretisch könnte ich Dich nun auch auch hyperprofessionell Siezen, so im Stil von einem „Weil Sie das als geneigter Leser womöglich lieber mögen.“ Aber das erscheint mir dann doch wieder einen Hauch überkandidelt. Wir sind hier ja nicht bei der Süddeutschen oder FAZ …
Also habe ich ich fürs Du entschieden: Persönlich, aber nicht flapsig.
Ich nehme damit auf mich, dass ich mich beim Schreiben nun ständig disziplinieren muss – denn die meiste Zeit will ich es immer noch klein schreiben …
Die Kunst, sich etwas abzugewöhnen
Oft genug tippe ich „Du“ immer noch klein. Macht der Gewohnheit! Das mit der Kleinschreibung habe ich immerhin zehn Jahre Minimum so gemacht. Das menschliche Gehirn hasst nichts mehr, als unnötig Energie zu verpulvern. Deswegen setzen sich Gewohnheiten ja auch erst überhaupt durch. Im Default-Modus ist das Gehirn am Sparen; etwas so etwas anders macht niemand freiwillig.
Dass ich das „Du“ mit aller Gewalt nun wieder groß schreibe, kostet mich wirklich Mühe. Vielleicht ähnlich wie bei jemandem, der sich das Rauchen abgewöhnen will.
Sich etwas abgewöhnen ist schwieriger, als sich etwas Neues anzugewöhnen.
Aber das ist es mir wert.
Vom Aushalten und Durchhalten bei neuen Gewohnheiten
Vorübergehend müssen wir auf Auxkvisit jetzt mit dem Kuddelmuddel leben, dass das „Du“ in den neuen Artikeln nun groß geschrieben ist, in den alten aber immer noch das kleingeschriebene „du“ oder gar „ihr“ kursiert.
Vielleicht merkst Du das gar nicht, ich aber schon!
Als Designerin, die viel Wert auf Konsistenz legt, also darauf, dass etwas schön konsequent umgesetzt wird, schmerzt mich diese Unregelmäßigkeit nun sehr. Aber ich bin bereit, diesen Schmerz auszuhalten. Wenn nicht für Respektbekundung meinen Mitmenschen gegenüber, wofür dann?
Drückt sich über die Groß- und Kleinschreibung Respekt aus?
Meine These: Ja! Sehr wohl. Denn so verargumentiert man ja auch das groß geschriebene „Sie“: Als Höflichkeitsformel. Zollt man einem „du“ weniger Respekt? Warum sollte man das tun? Nur, weil es privater und persönlicher ist?
Hat das nicht was von einer Zweiklassengesellschaft?
Provokant und überspitzt gefragt: Forderte die neue Rechtschreibung nicht gerade dazu auf, sich im Internet respektlos zu verhalten?
Arschlöcher siezt man nicht
„Kann ich Euch weiterhin duzen, oder wollt Ihr jetzt gesiezt werden?“, fragte uns ein Lehrer am ersten Schultag in der zehnten Klasse. In der Oberstufe nun war es probat, dass die Lehrer die langsam volljährigen Schüler zu siezen.
Wir lachten alle und forderten einstimmig unser „Du“.
„Aber Achtung!“ mahnte uns unser Lehrer. „Es lässt sich viel einfacher ,Du Arschloch!’ sagen als ,Sie Arschloch!‘“.
Sinn und Unsinn der Rechtschreibreform 1996
Als man das „du“ im Zuge der Rechtschreibreform 1996 klein schreiben sollte, das „Sie“ aber unberührt und weiterhin groß geschrieben blieb, machte mich die inkonsequente Umsetzung von Anfang an fertig.
Dabei ist mir schon klar, dass ein klein geschriebenes „sie“ als Anrede niemals funktionieren würde: Denn das steht im Deutschen nunmal ist für das feminine Personalpronomen. Bei der Anrede „Sie“ braucht es also zwingend die Großschreibung. Das klein zu schreiben, wäre enorm fehleranfällig – und auch schwer zu lernen.
Beim „Du“ entschied man sich aber 1996, das ab sofort klein zu schreiben. Angeblich aus Gründen der Vereinfachung.
„In Briefen kann die Anredepronomen Du und Ihr mit ihren Formen großgeschrieben werden, um dem Empfänger besonderen Respekt oder Nähe auszudrücken.“ (§ 66 des amtlichen Regelwerks heißt es (Fassung 2006)
Ich frage dich nun: Welche Regel ist einfacher …
„Anreden werden grundsätzlich groß geschrieben.“
oder
„Anreden schreibt man mal groß, mal klein: Das höfliche „Sie“ schreiben Sie bitte immer groß. Das private „du“ schreiben Sie ab sofort einfach klein, denn da ist die Großschreibung ab sofort nicht mehr nötig. Sie können es aber, wenn Sie wünschen, auch weiterhin in ihren Briefen groß schreiben. Das ist Ihnen überlassen. Höfliche Formeln wie „Sie“ und alle konjugierten Formen schreiben Sie aber bitte in jedem Fall groß – also auch „Ihr“.
Und beim „Ihr/ihr“ von „Euch/euch“, ääährmm, upsiii, also ja, da suchen Sie sich einfach mal irgendwas aus.“
Du oder du? Was ist richtig oder falsch?
Rein orthographisch ist also keines davon wirklich richtig oder falsch.
Wenn einem etwas falsch vorkommt, dann vor allem deswegen, weil man im Alltag ständig das Gegenteil erlebt.
Pro-Tipp: Das lässt sich auch für jeden anderen Lebensbereich anwenden.
Auf den Kontext kommt es an
„Technik-Blogs haben den Anfang gemacht“, verrät mir Chat GTP, als ich mit ihr darüber diskutiere. „Auf literarisch anspruchsvollen Blogs wie deinem lohnt sich das groß geschriebene Du aber! Das kennzeichnet deine Qualität und Anspruch.“ (paraphrasiert)
Ich habe mich nicht von Chattie überreden lassen. Ich finde das „Du“ heute einfach schöner. Es hat für meinen Geschmack einfach mehr Substanz und Würde, und ich mag die Challenge, mir das wieder anders anzugewöhnen.
Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.
albert einstein0
Fazit
Finde ich nun ein klein geschriebenes „du“ automatisch unhöflich und springe deswegen im Kreis, wenn es mir begegnet?
Mitnichten.
Ich für mich habe mich nur entschieden, das nun so zu machen. Aus Respekt dir und auch Auxkvisit gegenüber, weil ich den Neuanfang mit dem gehobeneren Anspruch echt ernst meine: Wenn ich ein Magazin für Menschen schaffen will, das sich für Menschlichkeit ausspricht, dann ist es mir nur die logischste Konsequenz.
PS: Wenn Du eine akribische Schreiberin für DEINE Texte brauchst, schreib mich gerne an! Auch da werde ich auf solche Details achten und/oder Dich beraten, welche Anrede für Deine Kommunikation am passendsten ist.
Bild: Aus dem Naturkundemuseum in Wien. „Du armer du!“, habe ich damals geflüstert, als ich den Fuchs so eingepackt sah. Packen wir mit der Kleinschreibung auch das „Du“ unnötig ein? Und machen es wortwörtlich klein?