Kein Weg führt am Gendern vorbei: Geschlechter-gerechter zu formulieren ist mittlerweile nicht nur an den Unis üblich. Die Augsburger Allgemeine hat sich vor Kurzem dazu entschieden, sanft zu gendern. Mir spült es in den letzten Tagen immer häufiger eine YouTube-Werbung von Nivea vor die Nase, wo von Wissenschaftlerinnen gesprochen wird, und ich könnte schwören, dass in dem Bild auch ein paar Männer zu sehen sind – würde das Bild nicht so schnell an einem vorbeisausen.
Was an mir aber nicht vorbeigeht, ist die Diskussion an sich. Die sich schnell zu einem emotionalen Vulkanausbruch mausern kann. Sprache betrifft nunmal uns alle und auch die Tatsache, dass man selbst Geschlecht hat – oder eben auch keins. Jeder möchte sich wertgeschätzt und angesprochen fühlen. Deswegen genießt das generische Maskulinum einen fragwürdigen Ruf.
Und dabei könnte genau das generische Maskulinum die Lösung sein.
Ich selbst bin mit den bisherigen Vorschlägen nämlich gar nicht zufrieden. Auch wenn ich es durchaus versucht habe – und offensichtlich kein weißer, alter Mann bin. Maximal eine weiße, mittelalte Frau. Aber immerhin nicht aus dem Mittelalter!
Update (März 2022): Aktuell tut sich immer mehr in diesem Gebiet. Immer mehr junge, aufgeschlossene, offenkundig nicht antifeministische Leute äußern sich gegen das Gendern. Alicia Joe fasst in einem fundierten Video zusammen, „warum Gendersprache scheitern wird“. Als eine Antwort auf ihr Video trudelt ein wiederum aussagekräftiges Video von Marvin Neumann ein, der sich eingesteht, da womöglich geirrt zu haben.
Vorab: Wer hier schreibt
Wenn du hier das erste mal liest und erst wissen willst, mit wem du es hier zu tun hast: Ich bin Miriam, 41, habe Kommunikationsdesign studiert und arbeite mittlerweile als Kreativdirektorin in einer Augsburger Werbeagentur. Ich bin unverheiratet, habe keine Kinder, und, um einem eventuellen CrazyCatLady-Image entgegenzuhalten: Ich habe noch nicht mal eine Katze. All das waren teils meine bewussten Entscheidungen, teils ist es einfach so gekommen. Ich bin damit ganz zufrieden.
Oft genug mache ich mir Gedanken darum, wie es sich heute als Frau so lebt. Dabei habe ich das Rollenverständnis von Mann und Frau ständig im Blick – vor allem das archetypische Grundgerüst dahinter, wie in diesem Artikel. Mir ist es wichtig, dass Menschen gut miteinander auskommen. Geschlecht spielt da erstmal eine untergeordnete Rolle. (Dafür aber eine umso schönere, wenn sie denn eine spielt ;))
Zu meinem Werteverständnis gehört natürlich auch, sich wertschätzend zu artikulieren. Aber was in der letzten Zeit mit Sternchen und Doppelpunkten veranstaltet wird, führt meiner Meinung nach nicht zum Ziel. Schriftsteller und Feminist Nele Pollatscheck bringt es schon länger auf den Punkt, dass gegenderte Sprache sogar sexistisch ist. Da kann ich mich nur anschließen. Mehr dazu hörst du in diesem Interview.
Ich möchte ergänzen: Mir geht in der gegenderten Sprache der Mensch verloren. Und deswegen habe ich mich gegen die aktuell gängigen Formen entschieden.
Kein Weg führt an geschlechter-gerechter vorbei. Na logo!
Berufswegen habe ich unterschiedlichste Gender-Schreibweisen seit über zehn Jahren vor der Nase. In meiner Arbeit habe ich viele Kunden aus dem Bereich Soziales, die gendern wollen oder es schlichtweg müssen – Vorgabe vom Ministerium.
So war das nicht immer: Als ich 2001 zu studieren begann, hatte ich kein Problem damit, als „Student“ bezeichnet zu werden. Als immer mehr und mehr die „Studenten und Studentinnen“ seitens der Hochschule ausgerufen wurden, mussten gerade wir Studentinnen kichern: Was soll denn bitte diese geschwollene Sprache, die extra Hervorhebung? Nicht wenige – ich auch – fühlten sich glatt bevormundet.
Ungeachtet dessen, dass wir Design-Studentinnen damals kein Problem mit dem generischen Maskulinum hatten, wurde immer mehr ein Problem daraus gemacht, bis die Doppel-Nennung zum kleinsten Problem wurde. Wenige Jahre später sah ich mich im Berufsalltag mit typographischen Herausforderungen konfrontiert, die wir im Studium so nicht gelernt hatten: Es gibt kein verbindliches Regelwerk für die gender-gerechte Schreibweise. Zum Beispiel, wie richtig getrennt wird:

Da ich meinen Job nach wie vor als Dienstleistung sehe und mein Beruf ja von Haus aus erfordert, für jeden Fall eine kreative Lösung zu finden, habe ich kein Problem damit, solche Aufgaben im bestmöglichen Sinne für den Kunden zu lösen. Und auch wenn ich im privaten Rahmen kein Fan von Sternchen-Schreibweisen und Doppelnennungen bin, weise ich meine Kundinnen immer darauf hin, wenn mir auffällt, dass irgendwo eine ungegenderte Form durchgerutscht ist. Wir wollen ja alle unseren Job vernünftig machen.
Nur frage ich mich immer mehr und mehr, warum man es macht. Denn je länger ich solche Texte vor der Nase habe, umso mehr merke ich, wie wenig es funktioniert. Und ich frage mich auch, warum immer mehr Leute mitmachen – sogar die, die anfangs gekichert, mit den Augen gerollt oder sich teilweise sogar auch im übelsten Stil darüber lustig gemacht haben.
Alles eine Macht der Gewohnheit?
„Ach, Miriam. Die andren gendern mittlerweile, weil sie es kapiert haben – und du halt nicht!“ Gut, dann bin ich halt dumm. Im Gegensatz zu vielen, die erst jetzt gendern und wo der Verdacht nahe liegt, dass sie es relativ unreflektiert tun und/oder, weil sie meinen, sie müssten es, habe ich aber immerhin versucht, es in wirklich zu verstehen.
2019 bin ich in Richtung Feminismus abgetaucht. Dazu gehörte natürlich auch die politisch korrekte Sprache. Ich las die entsprechende Literatur und tauchte interessiert und voll motiviert in die Bubble ein: Julia Korbik und Margarete Stokowski lieferten mir nun für einen gewissen Zeitraum meine Lieblingslektüre. Mit ein paar Augsburgerinnen traf ich mich monatlich bei einem feministischen Stammtisch. Nur kurze Zeit, und ich hatte in gegenderter Sprache zu denken begonnen. Sehr einprägsam der Moment, als ich kurz nach dem Aufwachen – oder war es doch vorm Einschlafen? jedenfalls zu einem Zeitpunkt, in dem das Hirn nicht ganz da ist – plötzlich hochschreckte: „Ich bin doch eine Menschin!!! Verdammt nochmal, warum gibt es das Wort nicht?“ Rummstataaa, es war soweit! Im Unterbewusstsein werkelte die Thematik fleißig weiter. Und das nach nur wenigen Tagen.
Was geht bitte in den Gehirnen ab, die sich wesentlich länger damit beschäftigen?
Die „Macht der Gewohnheit“ funktioniert ja in jede Richtung: Ist erst einmal etwas etabliert, hält das Gehirn panisch daran fest.
Das spart nämlich ganz einfach Energie (dazu hier ein spannendes Interview mit Hirnforscher und Philosoph Gerhard Roth). Kein Wunder, dass nun immer weiter gegendert wird: Denn die, die es längst tun, meinen eben, es würde klappen. Selbstkorrektur ist gerade in der Wissenschaft wichtig – und leider ziemlich selten. Wenn die eigene Reputation und die bisherige Arbeit auf dem Spiel steht, wer sagt da schon gerne: „Oh sorry, nö, nochmal zurück auf Anfang – alles falsch, ich habe mich geirrt!“
Gendern klappt einfach nicht – auch nicht, wenn man mit der Moralkeule darauf pocht
Diese Menschin hier hat sich also nach einiger Zeit eingestehen müssen, dass es mit dem Gendern nicht wirklich klappt. Nicht vollumfänglich: Wir werden das mit dem Gendern aber niemals meister*innenlich hinbekommen. Spätestens bei solchen „konjugierten“ Formen, die es dann ja der Konsequenz halber theoretisch bräuchte, stellen sich mir alle Haare auf. Also habe ich eine Klammer aus meinem Haar gezogen – irgendeine steckt da immer drin – und voller Überzeugung in die die rosa, pardon, regenbogenfarbene Feminismus-Gender-Bubble gepiekst.
Puh, das atmet sich gleich so viel freier! Denn wenn ich genauer hinsehe, ist oft ausgerechnet die regenbogenfarbene Bubble, die am lautesten nach Vielfalt und Buntheit schreit, genau dieselbe, die exakt das am allerwenigsten akzeptiert. Diversität ist nur so lange cool, wie sie ins eigene Weltbild passt. Was nicht passt, wird mit der Moral-Keule passend gemacht.
Was hat das mit Gleichheit und Gerechtigkeit zu tun?
Kann etwas gut und sinnvoll sein, das alles unnötig verkompliziert?
Auf Empfehlung eines Kollegen hin habe ich mir vor einiger Zeit ein Fachbuch gekauft: „Design ist mehr als schnell mal schön“ von Maren Martschenko. Der Titel hat mir sofort gefallen. Der Rückentext aber so gar nicht: „Als Designerin oder Designer stellen Sie die Kundinnen und Kunden ihres Auftraggebenden ins Zentrum ihres kreativen Schaffens.“ Pleeease, what? „Die werden schon nicht im ganzen Buch so akribisch durchgendern!“, dachte ich mir und kaufte das eingeschweißte Buch. Knibbelte daheim die Folie ab – und wurde eines Besseren belehrt. Ich habe es nur bis Seite 55 geschafft. Zu mühsam, da zu lesen, spätestens in der Satzmitte habe ich meistens schon wieder vergessen, wie der Satz angefangen hat. Worum ging es da gleich wieder?
Maren schreibt im Nachwort: „Wir, ich und der Verlag, haben intensiv darüber diskutiert, wie Gleichstellung gelingen kann, ohne dass die Lesbarkeit leidet. Es bleibt an manchen Stellen holprig, weil unsere Sprache hier noch Gestaltungsbedarf hat . [Das Leerzeichen ist im Originaltext enthalten.] Ich traue Ihnen, liebe Leserinnen, liebe Leser, zu, dass Sie darüber hinweg lesen und sich nicht davon abhalten lassen, Ihren eigenen Weg in die gestaltende Beratung zu gehen. [Absatz] Ich danke meiner Twittercommunity, die mir beim Finden geschlechtergerechter Worte half, wo kein Leitfaden mir Antworten geben konnte.“
Obwohl ich nicht hochgradig ungebildet bin, kann ich nicht darüber hinweg lesen – ich schaffe es einfach nicht. Das mag mein individuelles Problem sein: Der Kollege, der mir das Buch empfohlen hat, ausgerechnet ein alter, weißer, Mann (!!!11!1!) hatte damit keine Probleme. Er meinte vorsichtig, dass es an meiner Einstellung läge. Womit er Recht hat: Mit sind Inhalt, Klarheit und Kontext einfach wichtiger als geschlechtergerechte Satzungetüme.
Wenn ich dieses Buch lese, hört es in mir nicht auf zu schreien: „Lass die Beidnennung weg und komm endlich zum Punkt! Ich will endlich wissen, worum es geht!“ Dass Menschen jeden Geschlechts Designer, Kunden oder Auftraggeber sein können, weiß ich doch selbst. Ich hatte gehofft, mir würde hier verraten, wie die Zukunft für gestaltende Berater bzw. beratende Gestalter wird. Wie meine berufliche Zukunft nun bestenfalls aussehen soll: Keine Ahnung, da ich es nie weiter als bis zur Seite 55 geschafft habe.
Zudem: Die Schreibweise, für die sich Maren und der Verlag entschieden haben, und für die Marens Twitter-Community als beratendes Gremium herhalten durfte, schließt das dritte Geschlecht konsequent aus. Hat ja super geklappt mit der Gleichstellung! Und das trotz Twitter? Kann doch gar nicht sein! Vielleicht habe ich aber auch nur irgendwo das Kleingedruckte übersehen:
„Im Sinne der besseren Unlesbarkeit haben wir uns für die feminine und maskuline Bezeichnung entschieden. Alle Menschen eines anderen oder gar keines Geschlechts dürfen sich aber auch angesprochen fühlen.“
text, der fehlt
Die Sache mit dem „angesprochen fühlen“
Als die Forderung nach geschlechter-gerechter Sprache immer lauter wurde, wurde folgender Passus im Kleingedruckten immer üblicher: „Im Sinne der besseren Lesbarkeit …blablabla … alle sind damit angesprochen.“ Das reiche aber nicht und sei immer noch ungerecht, monieren viele Feminist*innen. Ihnen ist das generische Maskulinum als Abbild patriarchalischer Strukturen ein Dorn im Auge. Man müsse sich schon die Mühe machen, wirklich alle Geschlechter zu nennen.
Sie vergessen darüber, wofür das generische Maskulinum tatschlich steht: Es ist vollkommen und absolut geschlechtsneutral. Das generische Maskulinum ist so neutral, dass selbst die Männer offiziell „nur mitgemeint“ sind!
Ich kann gar nicht sagen, wie ich das kleine „PS:“ im Editorial vom „Schwarzdenker“ – eine Zeit-Streit-Schrift für Designer – gefeiert habe. Victoria Sarapina schreibt dort im Editorial:
„Verehrte Leser (nicht LeserInnen), ich sprechen Sie als kluge Köpfe an. Ich bin der Meinung, dass jede sprachliche Differenzierung des Geschlechts die deutsche Sprache sperrig macht und überflüssig ist.“
Victoria Sarapina, kommunikationsdesignerin und herausgeberin des magazins „Schwarzdenker“
Dito.
Das generische Maskulinum ist nicht so „böse“, wie man*frau es lange dachte.
Nun kann man sagen: „Aber, aber, man muss doch und überhaupt und aaaaah, das generische Maskulinum, das geht–einfach–gaaaar–nicht! Da werden Frauen und andere nicht abgebildet! Und das muss man, weil …“ Dazu später mehr.
Zu dem in Misskredit geratenen generischen Maskulinum gibt es jedoch recht frische Studien, die zeigen, dass es Frauen bei Weitem nicht so stark ausschließt wie bislang angenommen. Studien aus den Niederlanden und Deutschland veranschaulichen mit Eye-Tracking-Methode, dass das lesende Auge NICHT zurückspringt, wenn zuerst das generische Maskulinum und danach eine feminine Nennung folgt:
„Die Wissenschaftler betraten den Konferenzraum, und Marie Schmid begann zu sprechen.“
Es entsteht im Hirn also keine Verwirrung, was es veranlassen würde, noch einmal zum Satzanfang zurück zu springen. Hätte man mich an eine Eye-Tracking-Maschine angeschlossen, als ich „Design ist mehr“ lesen wollte, wäre sie vermutlich explodiert.
Die Studie zeigt also: Es ist in der Regel unnötig, die feminine Form extra zu betonen: „Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betraten den Konferenzraum, und Marie Schmid begann zu sprechen“ wird damit ebenso unnötig wie „Die Wissenschaftler*innen betraten den Konferenzraum, und Marie Schmid begann zu sprechen“.
Mehr Bedarf für die Beidnennung aller Geschlechter wäre aber vermutlich nötig, sobald man von „Soldaten der deutschen Bundeswehr“ oder „Astronauten auf der IS“ spricht. Bei solchen Berufen, die bislang eher männlich konnotiert sind, kann es durchaus hilfreich sein, auf die Frauen extra hinzuweisen. Aber merkt nun ein Mädchen, das es auch Astronautin werden kann, weil es das Wort immer als „Astronaut*in“ zu lesen bekommt – oder weil sie ein Video mit einer Astronautin sieht? Oder weil sogar die eigene Mama Astronautin ist? Und was ist mit d’ Nonbinären, d’ Hebamm werden möchte?
Es braucht mehr echte Erfahrungen als theoretische Eingriffe in die Sprache. Auch eine Angela Merkel hat es bis zur Bundeskanzlerin geschafft, obwohl ihr damals keine gendergerechte Sprache den Weg geebnet hat.
Sprache formt das Sein! Oder nicht, oder doch?
Dass Sprache Wahrnehmung fördert, ist auch ein, wenn nicht sogar das Argument für gegenderte Sprache. Diese sei das maßgebliches Instrumentarium dafür, was real gelebt würde. Deswegen müssen wir Frauen – und alle anderen Geschlechter – in der Sprache abbilden, sichtbar machen. Zumindest, wenn es nach der feministischen Sprachforschung geht. Nun gibt es in diesem Bereich aber auch andere wissenschaftlich ebenso valide Stimmen, die in der Diskussion gerne mal unter den Tisch fallen, weil sie nicht gefallen.
„Das Sein formt die Sprache. Umkehren lässt sich diese Kausalkette nicht. Andernfalls begint man sich in Gebiete der spekulativen Philosophie.“
fabian payr, germanistiker & romanistiker, autor des buches „von menschen und mesch*innen“
Sprachräume wie die Türkei und Ungarn zeigen dies: In diesen Sprachen kennt die Sprache kein Geschlecht. Sie könnten also als wahrgewordener, gendergerechter Wunschtraum bezeichnet werden. Dass es beim träumen bleibt, wird einem sofort klar, wenn man daran denkt, wie Frauen und Homosexuelle in diesen Ländern behandelt werden. Wie es Menschen dritten oder gar keinen Geschlechts dort geht, will ich mir gar nicht vorstellen.
Wieso mühen wir uns also so mit vermeintlich gendergerechten Schreibweisen oder der Unsichtbarmachung jeglichen Geschlechts ab?
Weil wir im Deutschen zu viel Maskulines in der Sprache haben?
„Die Deutsche Sprache ist voller Männer!“
Das Deutsche ist voller „-er“! Aber dieses Suffix steht gar nicht zwingend für das männliche Geschlecht: So haben wir in unserer Sprache auch ganz viele Gegenstände, die auf „-er“ enden – man denke nur an den Tennisschläger, den Kopfhörer, den Ringständer. Geschlecht? Gibt’s da logischerweise keins.
Ebenso ungeschlechtlich sind nomina agentis, also Begriffe, die zum Ausdruck bringen, dass hier jemand etwas macht.

Was dem Verb sein „en“, ist dem nomina agentis sein „er“. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man aus der feministischen Ecke unkt, dass das eine Erfindung der Männer war. Aber Sprache hat keiner explizit erfunden, die hat sich entwickelt. Vielleicht sogar nur aus Versehen!
Wie wenig Gendern klappt funktioniert, zeigt dieses wunderbar nüchterne, wissenschaftlich fundierte Video. Auch wenn da ein weißer, nicht ganz so alter Mann spricht und er noch dazu (wuhuu!) auf dem Account der Welt spricht, schaut euch das an. Es gibt einen guten umfassenden Blick auf das Thema, ohne in die eine oder andere Richtung drängen zu wollen. Trotzdem oder gerade deswegen sieht es am Schluss für gegenderte sprache eher schlecht aus, und das generative Maskulinum steht als – wenn auch angeschlagener – Sieger da:
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*Auxkvisit bindet natürlich nur Videos ein, die zum Inhalt passen.
Das voll funktionsfähige generische Maskulinum krankt vor allem an seinem Namen
„Generisches Maskulinum“ ist auch für mein Empfinden ein unglücklicher Name. Der wird zu seinem Image entsprechend beitragen. Dann nennen wir das Ding doch einfach anders! Das hat in der Unendlichen Geschichte oder mit dem Joggen ja auch geklappt. Machen wir das generische Maskulinum doch zeitgemäßer, damit auch absolut jede*r Depp*in versteht.
Ich schlage vor: „inklusives Substantivum“! Ich gehe damit noch einen Schritt weiter als Fabian Payr, der in seinem Buch „Von Menschen und Mensch*innen“ das „inklusive Maskulinum“ vorschlägt. Liebe Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaftlerinnen, was meint ihr? Wäre das ein passender neuer Name? Kämen damit am Schluss alle zurecht? Auch und vor allem die, die sich mit Sprache ohnehin eher schwer tun?
Wir brauchen eine Sprache, die für alle funktioniert
Von Seiten des intersektionalen Feminismus (=die sich um alle [potenziell] Diskriminierten kümmern) wird gefordert, dass man alle, alle, alle Menschen berücksichtigt. Das könnte aber schwer zu erreichen sein, wenn die eigene bevorzugte Sprache komplett durchgegendert ist. Diese Sprachform mit all den Sternchen und anderen tyographischen Behelfsmitteln funktioniert nicht oder nur schwer für Menschen …
- die Deutsch gerade neu lernen,
- mit Leseschwäche,
- die eine geistige Behinderung haben …
- … oder eine Sehschwäche (der Screen-Reader liest das Sternchen immer mit vor – für solche Fälle empfiehlt sich der Doppelpunkt, der als kleine Paus ausgegeben wird)
- und nicht zuletzt 2/3 der Deutschen, die sich gegen gegenderte Sprache aussprechen.
Nun muss man sich bestimmt nicht der Mehrheit beugen, wenn man selbst andere Wertvorstellungen hat. Ich bitte nur alle Feminist*innen und Befürworter*innen der Gender-Sprache, sich wenigstens kurz zu überlegen, ob die Gender-Sprache nicht doch ein elitäres Geschmäckle hat – und was sie effektiv bewirkt. Akribisch gegenderte Sprache symbolisiert zweifelsohne, dass man sich um Gender-Gerechtigkeit kümmert und das einem wichtig ist. Aber was bringt sie in echt?
Ich weiß nicht, was die Lösung ist. Für mich ist und bleibt es überwiegend das Generische Maskulinum – aus den genannten Gründen. Und weil es mit meinem eigenen Werteverständnis am besten harmoniert: Mir ist vor allem Klarheit wichtig, und– ja, dahinter stehe ich auch voll und ganz – die Eleganz und Schönheit und pure Ausdruckskraft, um nicht zu sagen die Lebendigkeit der Sprache.
Ein achtsamer Umgang mit Sprache ist nötig – und die klappt auch mit dem generischen Maskulinum
Um irgendwo hinzukommen, wo sich jeder wieder wohl fühlt, ist vor allem eines wichtig: Mit den anderen reden. Nicht nur mit der eigenen (Twitter-)Bubble. Das tut oft weh, sobald es vom eigenen Wertekanon abweicht. Sowas tut dem eigenen Gehirn und limbischen System weh, das erzeugt erst mal Abwehr und Angst. Aber gerade diesen Austausch bräuchten wir.
Aber vielleicht kommen wir durch eine offene (!) Diskussion wieder dahin, dass Sprache allen gefällt und für alle praktikabel wird.
Wir müssen zurück zu mehr Achtsamkeit für alle! Und zu mehr Achtsamkeit im Text: Wo macht es Sinn und ist es unabdingbar, das Geschlecht zu erwähnen? Wo ist es überflüssig? Das mutet erst mal nach „jeder formuliert nach eigenem Gutdünken“ und nach gefühlsmäßiger Entscheidung an, aber das ist Sprache ja auch: Individuelle Ausdrucksweise. Und Ausdruck der Gefühle. Sprache verrät so viel über den, der sie nutzt! Das soll jeder auch weiterhin machen können, ohne Angst haben zu müssen, von seiner Twitter- oder YouTube-Community gemaßregelt zu werden. Nicht jeder, dem eine Sternchen-Form durchgerutscht ist – oder der sich willentlich dagegen entschieden hat –, ist ein misogyner Arsch.
Im Gegenzug sehe ich immer mehr Männer, die zwar Gender-Sprache benutzen, sich weiterhin aber ekelhaft chauvinistisch verhalten: Gegenderter Text in der Image-Broschüre und im Bild daneben ein laszives Stock-Model. Von „Mitarbeitenden“ sprechen und der Kollegin drei Sekunden zu lange in den Ausschnitt starren.
Worauf ich hinauswill:
Nicht die sprachliche Form macht den Inhalt.
miriam von auxkvisit
Sprache im Wandel
Ich hätte zu gerne zugesehen, wie sich die deutsche Sprache natürlich wandelt. Zu hören ist es ja schon in der Tram: „Gehma Kino?“ Oder „Kann ich mal die Cola?“ Oder aber auch: „Was sagt de’Alte dazu?“ Ob es nun „deine Alte“ oder „die Alte“ ist, habe ich nie erfahren.
Daran sieht man, wohin die Reise natürlicherweise gehen würde: Zur Vereinfachung. Ein bisschen wie in Cloud Atlas, wo es uns Halle Berry und Tom Hanks als Menschen in der Zukunft vormachen: Eine Mischung aus Denglisch und Babysprache, ein bisschen Yoda schwingt auch mit. Viel zu lernen wir noch haben! Aber lasst uns deswegen nicht willentlich komplett verlernen, was wir gelernt haben, das zuverlässig funktioniert – nicht, solange es das Neue nicht schafft und nicht alle Menschen miteinbezieht.
Sprache ist zu wichtig und zu wertvoll als verbindendes Element. Wir brauchen sie in ihrer vollen Kraft und Funktionsfähigkeit, um sie für alle nutzen zu können.
Am Ende geht es doch um den Menschen
Wen wir sprachlich abbilden wollen, sobald wir einen Menschen erwähnen, ist – meistens – doch der Mensch an sich. Deswegen habe ich kein Problem, in einer Runde mit anderen Designern als „Designer“ angesprochen zu werden. In diesem Kontext geht es darum, dass wir Design machen. Und nicht, was sich (nicht) zwischen meinen Beinen befindet.
Nun gibt es natürlich noch als Alternative zu den Sternchenformen und Beidnennungen die mehr oder wenige elegante Umschiffung der personen-bezogenen Form. Jetzt kümmert sich nicht mehr „ein Sachbearbeiter“ oder auch „ein*e Sachbearbeiter*in“ um meinen Fall, sondern „jemand aus der Sachbearbeitung“. Kann man schon machen, klingt aber vor allem in Summe nach einem ganz schön nüchternen Beamten-Sprech. Denn was diese neutrale Form schafft, ist, dass der Mensch komplett aus der Sprache verschwindet.
Ich will das nicht. Und noch weniger, dass man es auf Teufel*in komm raus überall versucht aus einer Haltung der Angst heraus.
Wenn du die innere Haltung und die Intention hast, ein guter Mensch zu sein – oder auch eine gute Menschin –, dann drückt sich das zwangsläufig auch durch deine Sprache aus. Egal, welche Form du dafür verwendest.
Für welche entscheidest du dich?
PS:
Auf inhaltliche Fehler darfst du mich gerne hinweisen, zumal ich eben keine Sprachwissenschaftlerin bin und mir im Klaren bin, dass ich mich mit diesem Artikel weit aus dem Fenster lehne. Da ich in letzter Zeit mit immer mehr Bauchschmerzen dabei zusehe, wie sich Menschen in ihrem Ausdruck winden, um ja niemandem potenziell auf die Füße zu treten, und wie jeder Mann automatisch als „alter weißer Mann“ beschimpft wird, der sich da kritisch äußert, kann ich nicht länger meinen Mund halten und möchte der Diskussion eine weitere, eben meine Ansicht anbieten: Als Frau, irgendwie feministisch und irgendwie auch nicht, die mit Sprache in ihrem Berufsalltag als Kommunikationsdesignerin und Texterin seit über zehn Jahren zu tun hat.
Als Grundlage habe ich mich neben meinem eigenen Erleben und Empfinden auf das Buch „Von Menschen und Mensch*innen“ von Fabian Payr gestützt (Link zu buecher.de). In diesem Buch gibt es massenhaft Quellen zu Studien und Fachartikeln. Einen Link zu einer ebenso umfangreichen Quellenangabe findest du in dem oben verlinkten YouTube-Video von Constantin van Lijnden.
Meine Expertise im Design mag einen Einfluss auf mein ästhetisches Sprachempfinden haben. Das erscheint mir aber ebenfalls individuell: Ich kenne und habe genügend Kollegen, die das anders sehen.
PPS:
Auf dem Instagram-Post zu diesem Artikel ging es einigermaßen ab. Hier gab es neben „Sehe ich als Frau genauso!“ auch ganz viel Gegenwind: Für Feminist*innen ist meine Meinung natürlich harter Tobak. Lukas Thüring hat sogar darauf mit einem eigenen Artikel reagiert. Ihn nervt die Diskussion eben so wie mich, aber eben aus der anderen Perspektive. Er beleuchtet die Sprachhistorie aus einem fundierteren Hintergrund. Im Gegenzug dazu sind ihm inhaltliche Schnitzer bei dem Thema Typographie und Gestaltung unterlaufen (Lesbarkeit und Leserlichkeit sind zwei paar Schuhe; die beste Typographie reißt keinen schlechten Text heraus – schriftliches Gendern gut lesbar zu machen liegt also keinesfalls nur in den Händen der Gestalter). Was nur mal wieder zeigt, dass bei jedem noch so motiviertem Engagement Fehler passieren. Aber zeichnet eben nicht gerade das auch das Menschsein aus? Lieber Leidenschaft und sich kleine Schnitzer leisten anstatt mit einem Schulterzucken alles hinnehmen und somit vermeintlich alles richtig machen.
Obwohl mit dieser Unmut, den mein Artikel erregen kann, zugegeben nicht besonders behagt, zumal mir ein freundliches Miteinander nach wie vor am liebsten ist, lasse ich ihn dennoch weiter stehen. Ich nehme auch weiterhin den Affront entgegen, wenn ich dafür den Raum öffnen kann, dass ein bewusstes „Nicht-Gendern“ nichts mit Menschenunfreundlichkeit oder antiquierter, bornierter Sichtweise zu tun hat. Seht es mir aber bitte nach, wenn ich nicht die Zeit habe, auf alles (schnell) zu antworten.
2 Kommentare
Wieviele Einwohner hat Deutschland?
83 Millionen? Falsch:nach der neuen Sprachinquisitioin sind es 41,5 Millionen Einwohner und 41,5 Millionen Einwohnerinnen.
Huch, Wolfram, tut mir leid: Deinen Kommentar sehe ich erst jetzt!
Ich verstehe ihn zugegeben nicht ganz – wenn du da nochmal nachfassen willst …