Regelmäßige Leser dachten bereits garantiert, ich hätte nur das halbe Alphabet gelernt: Da begann ich mit dem QVED-Alphabet, hörte bei H auf – und verstummte. Ich habe damals in der ersten Klasse aber durchaus aufgepasst. Schuld ist die Zeit und was zur Zeit alles los ist. Mir brummt etwas der Schädel. Aber den Teil ab dem H, den krieg ich noch hin!
Also auf, auf auf den zweiten Weg der Reise, wo sich Editorial Design (Zeitschriftengestaltung) hinbewegen wird. Etwa weg vom Print? Nö. Und: Ein konkretes Ziel gibt es nicht. Braucht es aber auch nicht, denn gerade die Vielfalt war das herausstechende Merkmal der Design Konferenz „Quo Vadis Editorial Design“ (kurz QVED) im Februar 2015 in München.
Weiter qved’s also mit dem Alphabet!
Internazionale ist ein italienisches Magazin, anhand dessen Mark Porter mal wieder bewies: „Identity“, ein auf die erste Sekunde prägnantes, erkennbares Design ist heute wichtiger denn je, um sich in dem unglaublichen Wust an Zeitschriften zu behaupten.
Besonders gut schaffen das Herzensprojekte, sprich Independent Magazine. Die typische Geschichte dazu könnte so beginnen: „Es war mal ein Designer, der wollte sein eigenes Magazin herausbringen. Also saß er parallel zu seinem Job 12 Stunden am Tag (bzw. in der Nacht) an seinem eigenen Magazin. Er finanzierte den ersten Druck selbst, und dann, bäm, las alle Welt das Heft und jetzt ist es Kult.“
Kwer ist das Magazin für Abstraktion, das nach den ersten zwei Ausgaben hinaus in die große Welt will und deswegen noch finanzielle Unterstützung braucht. Die zwei jungen designigen Philosophen oder philosophischen Designer Dave Grossmann und Hartmut Friedrich wollen mit ihrem limitierten Magazin – es wird nur zehn Stück geben – eine Enzyklopädie der Abstraktion schaffen; ein Werk, das man sich so in den Schrank stellt – und immer wieder mal herausholt. Zu den Inhalten tragen unterschiedliche Künstler bei, von Musikern bis zu Tänzern, aber auch Naturwissenschaftler. Die Ausgaben sind numeriert; die Zahlen werden in schlichte grafische Formen übersetzt. Klingt abstrakt, ist es auch.
https://www.youtube.com/watch?v=HYv0NXp8C7Q
Nicht zu vergessen: Kuratiert wurde die QVED von Design-iKone Boris Kochan. Der mit einer witzigen Anekdote erzählte, dass der Krake als Leitmotiv (siehe Y) eher Zufall war: Ihm ging es um Soulfood, Betonung auf Soul. Der Designer hörte aber nur Food. Wie man dann auf einen Kraken kommt, naja. Das ist eben kreativ!
Lars Harmsen beweist mal wieder, dass Print unkillbar ist. Sein Projekt: Aus Liebe zur Kunst präsentiert er in seinen „Magazinen“ Künstler. Es sind also eigenständige Büchlein, jedes einem Künstler gewidmet, der sich dort präsentieren kann. Und das Schöne: Die 100 Seiten kosten nur 10 Euro – daher auch der Name 100for10. Den Künstlern selbst kommen davon 2,50 Euro zugute, also weit mehr als sonst üblich. Sehr lobenswert!
Zu Beginn Erich Nagler’s Beitrag kommt die Frage: „Wer kennt medium.com?“ Nur wenige melden sich, ich frage mich noch, was das sein soll – und wundere mich nach dem Vortrag, warum es das nicht schon viel länger gibt.
Medium ist eine US-Plattform, eine Community. Autoren, Journalisten, passionierte Schreiber und eben auch Magazine bieten dort ihre Inhalte an, die von der Community direkt kommentiert werden können – und das direkt im Stil eines Lektors: Beliebte Sätze werden dann gleich öfter markiert, einzelne Fragmente können mit Kommentaren versehen werden, anstatt wie gewohnt im Anschluss an den ganzen Artikel. Deutlich wird auf medium auch: Wer laaaaange scrollbaren Inhalt anbietet, sollte mit Abwechslung spielen und Bilder, Videos oder Zitate einbinden. Für Blogger nichts Neues 😉 Auf Medium wird das ganz schick eingeblendet.
Als bloggende Kommunikationsdesigner frage ich mich, ob medium nicht das nächste übergreifende Medium wird. Letztlich wirkt es wie eine Ansammlung von Blogs in einem einheitlichen Design.
Das New York Times Magazine erhielt einen Relaunch. Verantwortlich: Gail Bichler, die strukturiert und mit einem großen Gespür fürs kleinste Detail vorgeht. Wie modernisiert man den Schriftzug (Fraktur!) des Magazins oder erhält sogar ein Kürzel – versuch mal, „New York Times Magazine“ auf einen Jutebeutel zu drucken oder in ein Favicon zu packen. Das Publikum darf in den feinsinnigen Prozess eintauchen, freut sich an typographischen Details und staunt über den Humor und Mut, wie Titel und Fotostrecken umgesetzt werden. Der Leser soll so gut eintauchen können wie nur möglich: Das wecke mehr Empathie. Und sichert somit letztlich auch den Print-Leser. Print is dead? Von wegen! Es verzahnt sich mit dem digitalen Medium, kann sich gegenseitig sogar inspirieren – und Ideen ist es letztlich egal, wo sie stattfinden, Hauptsache, sie tun es.
Die Niederlande waren Partner der Munich Business Week – das bekamen wir in den Netherland Sessions mit und in der Ausstellung im Nebenraum mit u. a. Produkt-, Schmuck- und Modedesign.
Oft aufgefallen sind mir trotz größter Vielfalt der Designer und ihrer Magazine:
- Farbige Typographie. Auch für Fließtext!
- Die Spaltenbreite ist gerne so schmal wie nur möglich.
- Themen sind wichtiger als Kategorien.
- Die Themen dürfen gerne so alltäglich wie nur möglich sein. Eine Ausgabe über Bett – why not? (So geschehen im Magazin MacGuffin – The Life of Things)
- Die Magazine treten immer stärker mit den Lesern in Kontakt. Wenn die Bilder einschicken, die gedruckt werden können, weil die Qualität stimmt, ist das ja eine Win/Win-Situation für alle! (Magazin freut sich: Keine großartigen Bildkosten; Leser freut sich: Er hat seinen Moment of Fame.)
- Emotion zählt mehr als Präzision. Und wo wir schon beim P wären …
Politisch sein als Illustrator? Wie viel kann man sich erlauben? Die Illustratoren auf der QVED zeigen sich zumeist recht feinfühlig. Raban Ruddigkeit, Lea Brousse, Edith Carron, Bianca Tschaikner und Hamed Eshrat übersetzen alle auf ihre eigene visuelle Weise brisante Themen in Zeichnungen, die in Magazinen wie Le Mond erscheinen oder im Wiener Falter. Bei aller politischer Korrektheit löst zu viel Humor schnell Shitstorm aus; viele der demonstrierten recht grafischen Abstrahierungen erscheinen daher vergleichweise brav, wenn natürlich auch intelligent. Polarisieren ist wohl an anderer Stelle gefragt.
Quer einmal durch den Raum geteilt wurde das 550-teilige Publikum, damit wir uns nicht beim Mittagessen die Köpfe einschlagen. Das (und Kaffee/Wasser) ist bei der QVED inklusive. Den Kuchen gab’s aus Kostengründen leider nicht mehr. Deutlich angezogen hat auch der Preis für die Tickets, das Early Bird kostete diesmal schon 320 Euro – ohne QVIG, die erstmalige Veranstaltung rund um Infographik. (Auf der war ich nicht und kann dazu nicht mehr sagen, außer dass diese der Augsburger Hochschul-Professor Michael Stoll kuratiert hat.)
Richtig fertig war man abends, weil das Hirn randvoll war. Wenn aber auch so Begriffe wie „die Renaissance des Bauchgefühls“ fallen! (Zitat: Herbert Lechner)
Bei Stackmagazines erhalten Print-Liebhaber in einem Abo jeden Monat ein Indie-Magazin. Mit dabei waren bislang z. B. The Outpost, Put A Egg On It, Benji Knewman. Kommt einem da der eine oder andere Name vom Alphabet A bis H bekannt vor?
Der Soda-Stand lässt allen Print-Lovers den Puls auf 200 hochrasen: Da kann man schmökern, stöbern und sinnvoll Geld ausgeben.
Sorry, dass meine Bilder scheiße sind. Ich war nur mit iPhone unterwegs und bei den Lichtverhältnissen – im Saal ist es stockduster – geht da nichts.
Typographie? Was ist das, was kann die? Dazu gibt es die erst Themen-Ausgabe der CUT. Yep, das allseits bekannte DIY-Bastel-Mode-(Mädchen)-Magazin aus dem Hause Independent Medien Design.
Wer mit der U-Bahn anreist, nimmt die U4 bzw. U5 und steigt bei der Schwanthaler Höhe aus. Die QVED findet in der Alten Kongresshalle statt, die ungelogen unglaublich schön ist.
Andreas Volleritsch setzte das Neue Testament als Magazin. What? Genau das, wonach es klingt! Dass das viel Arbeit war, ist klar. Dass es noch mehr machte, als sich zwischendrin ein paar mal das Format änderte, kommentierte das Publikum mit einem mitfühlenden Aufstöhnen. Voll verständnisvoll.
Das The Weekender-Magazin habe ich mir ohne lange zu Überlegen gekauft, bin aber noch gar nicht dazu gekommen, es zu lesen, noch nicht mal an den letzten Wochenenden. Oh weh! Beim ersten Durchblättern war aber gleich klar: das ist wunderbar gestaltet!
Alles Weitere zur QVED kannst Du im QVED-Blog in aller Ausführlichkeit lesen. Und es kommt noch besser …
Die Vorträge der QVED landen auf Youtube!
Zoetrope All Story ist Konzeptkunst in Form eines Magazins: Es gibt vier Ausgaben im Jahr, die alle unterschiedlich gestaltet und inhaltlich neu befüllt werden. Und als ob das nicht reichen würde, gibt es jedes Mal einen „Gast-Designer“: PJ Harvey zum Beispiel, Tom Waits oder Beck, Michael Stipe oder Wim Wenders. Die Künstler bekommen so eine neue Plattform, sich kreativ auszutoben. Die Hand auf diesem Konzept hat niemand Geringeres als die Familie Coppola. Ja genau, die.
Zum Abschluss lässt sich sagen: Die QVED lohnt sich, aber sowas von! Weil es nicht nur um Magazingestaltung geht – und wer liebt als Grafikdesigner nicht schöne Zeitschriften –, sondern um Trends, Gegentrends, und das auf internationaler Ebene. Interessante Köpfe stellen sich und ihre Produkte vor. Vielleicht ist es sogar in der Menge zu viel. Da die Tickets gleichzeitig im Preis deutlich angezogen haben, fände ich es begrüßenswert, wenn die QVED nächstes Mal auch Einzeltagestickets anbieten würde. Ich hatte das Glück, dass meine Agentur das übernommen hat – als Fortbildungsmaßnahme. Aber für Freelancer und Andere wäre das sicher noch eine interessante Option.
Mit einigen Wochen Abstand fällt es mir schwer, alle Infos der intensiven Veranstaltung noch zusammen zu bekommen; aber ich habe doch das Gefühl, dass alles Gehörte in einem Sud gelandet ist, der immer noch brodelt. Die gewaltige erste Eruption: Ich hatte nach der QVED selbst ein Zeitschriftenprojekt auf dem Tisch und habe es so schnell abgeschlossen, dass man meinen könnte, ich hätte einen Zeitumkehrer besessen. Besessen war und bin ich wohl nur von Magazinen. Zum Glück!