Wir wollen üppiges, volles, gesundes, kräftiges Haar: Auf dem Kopf, einige auch im Gesicht. Da wird mit Ölen gepflegt, gestutzt und geformt. Aber Körperbehaarung? Iiiiih, wie eklig! Arte Creative hinterfragt mit dem Poilorama „Haarige Sache“, was es mit der Körperbehaarung auf sich hat – und warum sich so viele vor ihr so grauen.
Heraus kam eine extrem interessante, tabulose und sehr amüsante zehnteilige Serie, die dabei auch die Geschichte der Sexualität erzählt, vor allem die der Frau. Ganz nebenbei fließen historische, kunsthistorische und gesellschaftliche Aspekte ein. „Haarige Sache“ ist damit ein sehr informatives, vielfältiges und überaus kurzweiliges Format.
Psychologen, Philosophen, Künstler und Trendforscher regen dazu an, den Ekel vor den Körperhaaren und den Rasurwahn zu hinterfragen. Auch das Sendeformat ist mutig: Die Einspieler sind schon auch mal pornös, provokativ und gleichzeitig extrem witzig.
https://www.youtube.com/watch?v=oGtLknrBp4w
Sind ja eigentlich nur Haare, ne?
Weil uns das Tier in uns nach wie vor Angst macht, verbergen wir es, so gut es geht. Nun haben die meisten Tiere Felle, weswegen das menschliche Fellchen schnell als animalisch und wild angesehen wird.
Werden wir geschlechtsreif, sprießen Achsel- und Schamhaare. Sie sind somit deutliches Zeichen unserer Sexualität. In dieser Körperbehaarung sammelt sich Schweiß und damit ureigenster Geruch. Der Mensch, solchen barbarischen Dingen erhaben, dachte sich bereits in der Antike, dass das eklig ist – also ab damit!
Um Nackte in der Kunst dem Pöbel zugänglich zu machen, ohne dass der ausflippte, kam das Schamhaar ab. Die Sexualität wurde durch die haarlose Darstellung entsexualisiert. Aus haarlos wird harmlos.
Trends & Gegentrends
2016 plappern wir locker über Sex und bekommen ihn im Alltag alle Nase lang präsentiert – jedoch in der cleanen, appetitlichen Variante. Er ist übliches Instrument der Werbung, wird hoch stilisiert und hat wie das Meiste der Werbung mit der Realität recht wenig zu tun.
Spätestens seit den 2000ern wird auf dem menschlichen Körper wieder tabula rasa gemacht. Wer erinnert sich nicht an die Folge von Sex and the City, bei der Carrie aus Versehen in L.A. ein Komplettwaxing bekommt? Noch wundert sie sich, wie merkwürdig sich das anfühlt. Ein paar Staffeln später ist der Kahlschlag längst Normalität. Es wird nicht mehr diskutiert, ob man die Haare entfernt, höchstens wie. Die Sehgewohnheit hat sich (mal wieder) geändert; wer als Hippie noch überzeugt Fellchen trug, staunt nun, warum sich alle Welt alle Haare entfernt, seufzt und greift selbst zum Rasierer, weil: Alles andere ist ja nicht normal.
Aber auf Trend folgt – mal wieder – Gegentrend. Langsam wird Achselhaar wohl tatsächlich wieder in: Unter #freeyourpits zeigen Mädchen und Frauen ihre meist noch spärliche Achselbehaarung, auch mal bunt gefärbt. Was die Natürlichkeit natürlich wieder ad Absurdum führt. Der Trend geht zwar wieder Richtung Körperliches, aber doch eine überaus disziplinierte Körperlichkeit. Wir wollen die komplette Kontrolle haben. Authentizität ist gefragt, aber nur, wenn sie ästhetisch und cool ist.
Schwerer tut sich da die Schambehaarung: American Apparel versuchte es 2014 und stopfte seinen Schaufensterpuppen Pelz ins transparente Unterhöschen. Das sah an den glatten Puppen eher lächerlich als provokativ aus.
2016 wird die immer noch omnipräsente Intimrasur gerne mit der Freiheit zur Selbstbestimmung begründet. Wie viel Selbstbestimmung ist aber im Spiel, wenn in den Medien, in so vielen Serien und Filmen klar kommuniziert wird: „Wenn du dich nicht rasierst, will kein Mann mit dir Sex haben!“? Ob Sex and The City in den 2000ern oder 2015 MANN/FRAU: Es wird gar nicht erst die Option geboten, der Frau die Entscheidung zu überlassen: Das ist eklig; das muss weg. Der Mann hingegen hat freie Wahl, seine Körperbehaarung wird nur noch selten diskutiert – die metrosexuellen Jahre sind vorbei, außer in gewissen Szenen oder Sportdisziplinen muss er sich keine sonderlichen Gedanken um Körperrasur machen.
Seit einigen Jahren sind dafür wieder Vollbärte beliebt. Der Mann muss sich nicht mehr täglich mit der Rasur abquälen, sondern sich nur zwischen sieben Bart-Ölen entscheiden. Sorgfältig wird getrimmt, geformt, gestutzt. Wie ein wilder Waldmensch will dann doch wieder keiner aussehen.
Und dann sind da noch behaarte Frauenbeine, die keiner sehen will: Eigentlich am un-ekligsten, weil dort keine apokrinen Schweißdrüsen sitzen und diese Haare selten schweißgetränkt sind. Diese Härchen sind vergleichsweise kurz und spärlich. Aber ein behaartes Frauenbein zwischen sexy Shorts und Highheels? Unvorstellbar. Warum eigentlich? Weil, nun ja, es sieht so männlich aus.
Epic fails der Epilation – weg mit den Körperbehaarung!
Der menschliche, vor allem der weibliche Körper wird also rasiert und epiliert. Wir rasieren und schneiden uns in die Knie; wir jaulen auf, wenn wir den Wachs- oder Zuckerstreifen abreißen. Danach: Die Mühe, Rasurpickelchen und Irritationen wieder zu beruhigen (zum Beispiel mit Aloe Vera). Nein, Spaß macht Enthaarung wirklich nicht. Und schon gar nicht, wenn was schief geht: Wenn Härchen einwachsen und sich fies entzünden. Das kann sogar gesundheitlich riskant werden.
Enthaarung nervt, weil sie ständig sein muss und alle längerfristigen Methoden weh tun. Aber nichts zu tun ist auch keine Option. Oder eben doch? Wer dunkle Haare auf heller Haut und viel Geld übrig hat, hat übrigens den Enthaarungs-Jackpot geknackt und lässt sich sein Fell einfach mit Laser wegblitzen.
Bart & buschige Brauen als Vorboten?
Seit einigen Jahren sind sie wieder da: Dicke Augenbrauen wie in den 80ern! Wer in den 90ern zu doll gezupft hat, trägt einfach teures Haarwuchsmittel auf. Mit Brauenpuder und -stiften wird gefüllt und geformt. Wir wollen alle aussehen wie Cara Deledings.
Männer tragen seit Jahren fleißig Vollbart; Frauen haben sich wieder an das Gefühl gewöhnt, einen Bärtigen zu knutschen. Umgekehrt gilt es aber immer noch vergleichsweise selten. Die Instagram-Mädchen lassen ihr Achselhaar wuchern und Arte schlägt nun mit dieser Doku auf: Werden wir wieder kollektiv haarige Äffchen, weil das der nächste heiße Scheiß wird? Wo doch schon diverse Promis Körperhaar hypen, sei es Madonna oder Miley? Julia Robert lehnt sich sicher grinsend zurück und sagt sich: „Ich wusste es schon 1999. Als sich alle über mich lustig machten, als ich Achselhaar und Abendkleid gleichzeitig trug.“ Aber setzt es sich wirklich durch? Ich bin gespannt auf den Sommer, ob auch in Augsburg buntes Achselhaar zur Schau getragen wird.
Angeblich sollen als nächstes Tattoos um Körperhaare herum inszeniert werden. Vielleicht kombiniere ich dann Narbe, Tattoo und Körperhaar; wie krass Beinhaar wuchern kann, sah ich nämlich, als ich bei einer Verletzung unter einem fixen Verband nicht rasieren konnte. Ich war, zugegeben, entsetzt. Über das Haar und dass ich es war.
Weg müssen nur: Die Haare von den Zähnen.
Trends und Gegentrends gibt es immer. Heute haben wir jedoch mehr denn je die Freiheit, uns ihnen zu widersetzen. In ist, was individuell gewünscht ist; jeder kann sich seine eigene Welt schaffen, sollte aber noch Platz für die anderen Sichtweisen haben.
Körperhaar tut sich immer noch vergleichsweise schwer; es wurde zu lange stigmatisiert. Spätestens diese Doku macht aber klar: Per se eklig ist kein einzelnes Körperhaar. Wenn wir das abstoßend finden, liegt es an etwas anderem, und wir sollten lieber unsere eigene Einstellung überdenken als uns den Kopf darüber zu zerreißen, ob wir Körperhaare an anderen nun eklig finden oder nicht. Berechtigt aufschreien darf nur, wer in der Tram oder auf einem Festival plötzlich den schweißdurchtränkten Achselbusch des Nebenmanns oder der Nebenfrau ins Gesicht gedrückt bekommt. Wenn er dann noch schreien kann.
Titelbild: © taylor hernandez / Unsplash