Wer bisher so viel über Onlinedating geschrieben hat, der müsste das derzeit doch erst recht: Die App Tinder verzeichnet seit März 2020 einen Anstieg von 25 % an neuen Nutzern.* Selbst seriöse und hoch angesehene Zeitungen wie die Neue Zürcher Zeitung berichten auf einmal über den Nutzen und Wert von Onlinedating.** Wenn also Dating während Corona nur online wirklich geht, warum findest du dann ausgerechnet hier nicht darüber? Immerhin gab es auf Auxkvisit seit 2015 viele Berichte aus der lustigen Tinder-Welt.
Nun, Dating interessiert mich derzeit einfach nicht. Und, Butter bei die Fische, das funktioniert momentan doch ohnehin nicht wirklich: Denn das richtig Spannende am Online-Dating ist für mich immer noch das erste echte Treffen – und das sähe zur Zeit mehr als merkwürdig aus …
Es folgen: Zwei Dates, wie sie sich in dieser herrlichen Frühsommerwoche theoretisch-hypothetisch hätten zutragen können. Und danach die Auflösung, wen ich gerade lieber date.
Ein gutes Date während Corona
Ich und mein Date, nennen wir ihn der Gewohnheit halber mal wieder Jakob, stehen uns also das erste mal live am Bahnhof gegenüber. Jakob gefällt mir; ich habe zur Begrüßung gelächelt, er auch, ein kurzer warmer Moment an diesem ohnehin recht warmen Tag im Mai. Wir verlassen das Gelände am Hauptbahnhof bzw. was man davon bei all der Baustelle noch erkennen kann und laufen zum nahe gelegenen Fluss. Ganz schön schwer, wenn man dafür erst durch einen engen Tunnel und gleichzeitig immer höchst-offiziell (!11!!11!!) eineinhalb Meter Abstand einhalten muss. Immerhin: Die klassische Musik im Tunnel beruhigt.
Endlich am Fluss angekommen, gehen wir in geschwisterlich-platonischem Abstand an der Wertach spazieren. Was uns von Geschwistern unterscheidet ist, dass wir uns nicht mit den überall herumliegenden Kieselsteinchen bewerfen. Da rennt auch schon ein Kind zwischen Jakob und mir durch, verfolgt von den Wurfgeschossen des martialischen Bruders. Ein Steinchen ist leider eine Glasscheibe oder etwas ähnliches, denn es schlitzt Jakobs Unterarm auf. Selbst aus 1,5 Metern Entfernung sehe ich das Blut. „Tut’s weh?“, frage ich und ziehe mein zu diesen Zeiten 8239 Euro wertvolles Mini-Desinfektionsmittel aus dem Rucksack. „Kaum“, meint Jakob, aber der weiße Ring um die Nase, von dem sich die tausend Sommersprossen deutlich abheben, verrät, dass er kein Blut sehen kann. Ich strecke mein Desinfektionsmittel mit ostentativ knallhart durchgestrecktem Arm Richtung Jakob, er nimmt es mit wackeligem entgegen. Selbes Prozedere mit einem Pflaster – wie gut, dass ich immer eines mit mir herumtrage.
Jakob verarztet sich selbst, was umständlich ist, wenn es den Arm erwischt hat, mit dem man sonst schreibt. Er versucht, den Klebestreifen von der Unterseite des Pflasters abzupulen. Ich sehe es schon kommen, wie ein hautfarbener, vierfach gepunkteter einflügeliger Schmetterling gleich Richtung Boden gleiten wird. Also stürze mich ich dazwischen und klebe das Pflaster blitzschnell an. Dafür lande ich sicher ewiglich in der Hölle oder muss 25 000 Euro Strafe zahlen. Entsetzt starrt mich Jakob an, ich weiche schnell wieder zurück, und er macht vorsichtshalber einen großen Schritt nach hinten. (Oh mein Gott, Jakob riecht vielleicht gut!)
Auf den Schreck hin gönnen wir uns am Flussrand unser Picknick: Noch heißer Kaffee aus meiner Thermoskanne, und Jakob, der unwahrscheinlich gut backen kann, hat Zimtschnecken dabei (träumen wird man ja wohl dürfen!). Jeder desinfiziert sich brav die Hände, der Wert meines kleinen Sagrotans schwindet immer mehr und mehr. Wir mampfen und unterhalten uns, die Füße einander zugewandt. An der anderen Uferseite hört man ab und an unser Lachen. Als ich wiederholt „Was? Was? Was?“ fragen muss, weil Jakob mal wieder in seinen Bart genuschelt hat und/oder ich mal wieder meinen Schwerhörigen hatte, bewirft mich Jakob mit dem letzten Stück seiner Zimtschnecke. Es trifft mich an der Wange, genau ins Grübchen. Sowas ist das Highlight an Körperkontakt zu Zeiten von Corona.
Als der Abend immer kühler wird, begleite ich Jakob zurück zum Hauptbahnhof. Wir merken, dass sich eineinhalb Meter überwinden lassen, wenn man sich nur lang genug in die Augen schaut. Da stürzt sich ein Prolet zwischen uns durch. Das ist Ronny, mit dem ich zeitgleich in einem Paralleluniversum ein mieses Date habe.
Ein mieses Date während Corona
„Hi, ich bin’s, der Ronny“ sagt Ronald und drückt mir seine Wampe entgegen. Auf Tinder sah er schlanker aus, jünger auch, und am Kopf behaarter. Ich weiche schnell zurück, verweise körpersprachlich und extra gouvernantig auf den 1,5-Meter-Abstand. Ronny grunzt verächtlich, und ich bin froh, seinen Mundgeruch nur ganz schwach wahrnehmen zu können.
„Na dann geht’s mal los hier! Wassn das für ne ewige Baustelle!“, schnaubt Ronny verächtlich. „Wassn das für ne Drecksmusik“, beschwert er sich weiter, als wir durch den Tunnel gehen. „Wassindn das für Gören!“, brüllt er, als die Steinchen werfenden Kinder zwischen uns hindurchlaufen. Wieder trifft ein scharfes Steinchen einen männlichen Arm, diesmal einen nicht ganz so hübsch sehnig-schlanken wie den von Jakob. Ronny ist eher so der Typ Steak, das ein bisschen zu lang auf dem Grill lag.
„Tut’s weh?“, frage ich und lasse mein 8239 Euro wertvolles Mini-Desinfektionsmittel im Rucksack. „Näääh“, schnaubt Ronny, aber der weiße Ring um die Nase, von dem sich die tausend eiterigen Pickel deutlich abheben, verrät, dass er kein Blut sehen kann. Ich sehe aus 1,5 Metern zu, wie der ganze Blutstropfen austritt. Eineinhalb Meter, puh, also, da muss man sich schon dran halten! Also sehe ich zu, wie Ronny endlich umkippt, vielleicht auf das eine Kind drauf, es gibt ein Riesengebrüll, aber alle sehen nur zu, weil 1,5 Metern, also da kann man echt nix machen, nenee, statt Erster Hile lässt man lieber Menschen verrecken, also gehe auch ich nach Hause. Ein Date während Corona lässt sich so wunderbar einfach beenden. (11 weitere Tipps, ein Date schnell zu beenden, auch ganz ohne Corona, bekommst du übrigens hier.)
Stattdessen: Die Realität
Was habe ich nun gemacht, anstatt mich mit Jakob oder Ronny (nicht) zu treffen?
Ich bin in letzter Zeit einer Frau näher gekommen. Sie interessiert mich ernsthaft, ich mag sie, finde sie ganz gut – auch wenn sie manchmal irritiert oder ratlos hinterlässt, aber über sowas versuche ich immer mehr und mehr hinwegzusehen. Ich lerne sie so langsam immer mehr und mehr zu lieben. Sie heißt auch Miriam, ist auch 168 groß, hat denselben merkwürdigen Musik- und Filmgeschmack und wir umgehen die Kontakt- und Haushaltsbeschränkung ganz einfach damit, dass wir imselben Körper wohnen.
Nein, der Lockdown hat mich nicht in eine multiple Persönlichkeit aufgespaltet. Ich habe ihn genutzt, um mir selbst näher auf die Pelle zu rücken.
Sie hat mir zwar längst nicht alles verraten und ich habe längst nicht alles durchschaut, aber vielleicht geht es darum auch gar nicht. Rein rational kann man so viel verstehen wie an will, richtig tief wird es erst, wenn man sich aktiv darauf einlässt. Dazu haben die letzten Wochen eingeladen.
Ein neunwöchiges Date mit mir selbst
Ich habe mich also auf diese Miriam eingelassen, ihr alles zugestanden, was sie emotional erleben wollte. Während der sinuskurvigen Hochs und Tiefs der letzten corona-gemaßregelten Wochen war ich immer bei ihr. Ich habe sie aus ihrem Mental Breakdown (der erstaunlich spät kam) gefischt, ihr Halt gegeben, Taschentücher gereicht und mich gewundert, wie zerbrechlich sie sein kann. Ich habe Seiten an ihr erlebt, wie ich sie vorher nicht kannte. Zwischendrin war sie dann wieder absolut grundlos mehr als gut gelaunt, ja geradezu euphorisch, was für spannende Zeiten das gerade sind und was wir daraus alles lernen können. Eine naive, mutige Optimistin, die ich zutiefst bewundere. Zwölf Stunden später hatte sie sich wieder in ein wütendes, fauchendes, verbales Feuer spuckendes Etwas verwandelt, vor dem ich mich lieber zurückgezogen hätte.
Wirklich, es war spannend und anstrengend genug, mich um mich selbst zu kümmern, dass ich froh bin, in den letzten Wochen allein gewesen zu sein. Diese Ich-Fixierung mag im ersten Moment unglaublich egoistisch klingen. Gut möglich, dass Familienmenschen jetzt mit den Augen rollen. Aber: Es ging ja kaum anders! Ich wurde in den letzten Wochen komplett auf mich selbst zurückgeworfen. Und ich und die feuerspuckende Optimistin glauben, am Ende profitieren wir alle davon.
Außer Paralleluniversums-Ronny. Der darf auch weiterhin auf eineinhalb Metern Abstand bleiben.
Quellen & Bildnachweis
*Tinder verzeichnet zu Zeiten von Corona einen Anstieg an Nutzern, Matches und Nachrichten – BBC
**https://www.nzz.ch/zuerich/coronavirus-in-zuerich-tinder-ist-mein-bewaeltigungsprogramm-ld.1550348
Titelbild: freestocks / Unsplash, bearbeitet von Miriam Lochner / auxkvisit
1 Kommentar
Mirjam. Bin endtäuscht!!!!!!