Wo gehst Du hin, Zeitschriften-Gestaltung? Wanderst Du komplett ab ins Internet, auf Tablets, auf kleine Smartphone-Displays? Wo bleibt dann Dein Reiz: Wir wollen doch Dein Papier streicheln, manche sogar an Dir riechen; wir wollen Dich aus Versehen im Park mit Eis oder Kaffee bekleckern und Dir unterwegs sympathische Stoß-Spuren, Knicke und Eselsohren verpassen. Oder wir wollen Dich an einem Nachmittag im Bett verschlingen und Dir danach ein schönes Plätzchen im Regal suchen. Wir wollen über Deine Stapel quer durch unsere Wohnungen stolpern.
Willst Du uns verlassen, liebes, schönes Print-Magazin-Design? Ist Dir 2016 auf dem Papier so langweilig, dass Du lieber nur noch online existieren willst? Wenn ja: Was bedeutet das dann für die Leute, die Dich machen?
Zu diesen Machern (und Liebhabern natürlich ebenso!) gehöre ich auch. Deswegen war ich vom 25.–27. Februar auf der Design-Konferenz Quo Vadis Editorial Design, kurz QVED, in München. Neben den zahlreichen Vorträgen gab es auch drei Ausstellungen rund um Magazine und Infografiken. Diese waren dieses Jahr von besonderer Bedeutung, dass sie erstmalig eine kleine Extra-Konferenz erhielten, die QVIG.
Die QVED findet im Rahmen der Munich Creative Business Week jedes Jahr statt. Realisiert wird sie dank zahlreicher Sponsoren, unter anderem dem Soda-Verlag, der auch mit einem Stand vertreten ist (kleiner Ausschnitt im Titelbild).
QVED – die Editorial Design Konferenz
in München, auf internationalem Niveau
Die Veranstaltung ist eine internationale: Die Vortragenden waren diesmal aus London, New York, den Niederlanden, Lettland … und, Überraschung, Deutschland. Veranstaltet wird die Konferenz von der Typographischen Gesellschaft München. Eingeladen um zu sprechen waren nicht nur Designer, sondern auch Fotografen, Illustratoren; junge Wilde, ältere Designer mit unheimlichem Wissens- und Erfahrungsreichtum und ein paar ganz große Nummern (New York Times, The Guardian, ja sogar die Bibel …).
Die vielen, vielen Eindrücke der dreitägigen Konferenz, manche überraschend neu, manche eine Bestätigung meiner Gedanken, packe ich in einem A–Z zusammen. Heute A bis H, weil mein Kopf noch rauscht. Denn auf der QVED geht es „nicht nur“ um Magazine. Auf dieser Konferenz erfährt man von: Trends & Gegentrends, Journalismus, Publizieren, Verlegen, Vertreiben, Illustrieren, Photographieren, Texten, ja auch Philosophieren …
Eine detaillierte Zusammenfassung der einzelnen Vorträge findet Ihr im Blog von QVED. Peu a peu werden die Vorträge auch bei Youtube landen. Eine Preview gibt es schon.
wie Anke Eberhardt: Sie erklärte sympathisch, wie das CUT-Magazin zu der Kooperation mit dem Schriftenhaus Monotype kam und welch behutsame Arbeit nötig ist, um das Thema Typographie an eine Zielgruppe zu bringen, die sonst ein Mode- und DIY-Magazin gewöhnt ist. Wie das klappte? Ohne Angst vor der Vermittlung von Basic-Wissen und mit kleinen zarten Akzenten. (Die CUT lag übrigens sogar dem tollen Goodie-Bag bei.) Immer wichtig (nicht nur bei der Cut): Authentizität. Klingt abstrakt? Ist es gar nicht. Das wird es erst bei K, bei KWER.
Benji Knewman: Dieses lettische Magazin ist so dick und inhaltlich aufbereitet, dass seine Macherin Agnese Kleina lieber gleich von einem Bookazine spricht. Es geht um das Leben, um die Begegnung mit Menschen. Agneses Motto: „Yeah! But Why?“ – Enthusiasmus ist eine geniale Basis, aber erst mit Grund und Sinn wird ein Projekt etwas Handfestes.
Curves ist das Automagazin ohne Autos (auch für Motorradfahrer, Biker und Skater). Sein Gründer und Macher Stefan Bogner legte sich ohne es zu wissen mit einer gleichnamigen Fitness-Linie aus den USA an. Zum Glück ging alles gut aus, und aus dem Spaßprojekt, dem anfangs kaum jemand eine Chance einräumte, wurde ein weltweiter Erfolg. Chapeau!
Digitales Editorial Design hat andere Prioritäten als das gedruckte, klar. Design-Koryphäe Mark Porter (@IamMarkPorter; verantwortlich für den Relaunch von The Guardian) priorisiert hier folgendermaßen:
- Interface
- Identity
- Content
- Ästhetik
Für ihn ist jedes Editorial-Design-Projekt vor allem ein „Identity“-Projekt, eines, bei dem das komplette Design durchdekliniert werden muss – ob das nun ein potentieller, am Ende nie realisierter LKW des Verlags oder die Kloschilder in der Redaktion sind.
„Ein Erzählformat schaffen“ nennen Christian Hanke und Martin Kotynek, die Hauptverantwortlichen des Relaunchs von Zeit Online, die Aufgabe von Editorial-Designern: Es muss ein Umfeld kreiert werden, in dem sich der Leser wohl fühlt. Deswegen klingen ihre Zutaten für Erfolg recht nüchtern: Viel, viel Analyse; in ihrem Fall des umfangreichen Relaunchs unmittelbare Zusammenarbeit mit den Lesern in intensiven Workshops. Der Inhalt muss klar strukturiert werden, die Redaktion mit den Werkzeugen gut zurechtkommen. Nach fancy Design klingt das alles nicht. Aber es funktioniert: Bei ihrem Auftritt auf der QVED konnten sie punktgenau 10 Millionen Leser verzeichnen!
Der definitiv exzentrischste und lustigste Fotograf auf der QVED: Andreas Baier. Er hält nichts von Plänen und noch weniger von Perfektionismus. Lieber lässt er sich unmittelbar von der Situation und Person inspirieren, wenn er Portraitfotos schießt. Wenn das heißt, dass der Kopf des Portraitierten im Bild komplett verschwindet, ist das eben so. Und wenn er sich bei einem besonders surrealen Bild unsicher ist, ob es nun geil oder scheiße ist, einigt er sich auf „okay“. (Natürlich war es geil.)
Tom Grass und Harrison Thane sind zwei hoch engagierte junge Kerle, die Menschen Gehör Verschaffen wollen, die sich sonst nicht einfach weltweit artikulieren können: Leute aus dem Slum Kibera zum Beispiel. In Workshops lernen diese, wie sie selbst Magazine – in ihre Reinform „Zine“ genannt – herstellen können. Dafür braucht es letztlich, rein technisch gesehen, nur einen Kopierer. Auf zinester könnt Ihr Euch einen Eindruck über ihr großartiges Projekt verschaffen.
Horst Moser, einer der wichtigsten Köpfe (oder sollte ich sagen: Heads) in der deutschen Editorial Design-Szene überhaupt, bewies als Einziger auf der QVED Mut: Warum sie, ausgerechnet die auch politisch Engagierten so wenig mutig sind, fragte er und brachte die bis zu dieser Sekunde teilweise so extravertiert wirkenden Illustratoren ins Schwitzen und Stottern. Da ist Horst eben viel mehr ein Punk als all die jungen Wilden zusammen und traut sich viel mehr, mit klarer Meinung zu polarisieren.
Er selbst hat eben keine Skrupel, bei seinem Food-Magazines-Vortrag ordentlich Dampf abzulassen: An Mainstream-Magazinen wie „Essen und Trinken“ lässt er kein gutes Haar; dass alleine der Begriff „Vegan“ im Titel die Auflage in die Höhe schnellen lässt gibt er grinsend zu bedenken und macht uns mit seiner Präsentation, die er bis nachts um 4 Uhr gebastelt hat, ordentlich Hunger. Denn abgesehen von skandalösem beliebigen Mosaik-Design der Essen und Trinken „das auch ein Zufallsgenerator gestalten könnte“, präsentierte er wunderschöne Magazine mit ebensolchen Bildstrecken:
Seine aktuelle Top-Empfehlung hat aber nichts mit Food zu tun, höchstens indirekt: Das Magazin Modern Farmer mag zwar „nur“ eine Bauern-Zeitschrift sein (die Zielgruppe ist also nicht unbedingt die design-affinste), geht aber wahnsinnig modern, super stylish und frei mit den Themen um. Hier der Beweis. Leider haben sie nur wenige Seiten online, aber das sieht doch eher nach Architektur-Magazin aus, oder?
Weil ich heftig müde bin und meinen Kopf noch ein bisschen auslüften will, bevor ich morgen wieder selbst am Magazin-Layouten sitze, höre ich an dieser Stelle lieber auf. Bald geht’s weiter – das Alphabet hat ja noch ein paar Buchstaben.
Hier geht es weiter zum zweiten Teil!