Tinder ist total normal geworden. Wie hätte man in den letzten zwei Jahren sonst auch jemand Neues kennenlernen sollen? Während ich mich in den letzten Jahren vom Onlinedating zurückgezogen habe, ist das Gros dort also angekommen. Grund genug also, Tinder 2022 mal wieder auszuprobieren. Je mehr Männer da sind, umso höher sollte doch die Chance sein, dass da auch jemand für mich dabei ist!
Ich installiere Tinder also im Januar dieses Jahres wieder – und staune nicht schlecht: Vieles hat sich geändert, manches so gar nicht. Wenig ist ehrlich schockierend! Lies selbst …
1. Ein neues Interface für Tinder 2022
Tinder hat seinen Look etwas angepasst und gleich ein paar neue Funktionen fürs Profil miteingebunden. Zur Erinnerung einmal das alte:
Reminder: Swipe links (nay) und rechts (yay) gilt immer noch. Alles andere wäre ja auch bescheuert!
Mittlerweile ist alles ein bisschen bunter und ein bisschen verspielter. Es mutet ein bisschen an OK Cupid an. Wie dieser Konkurrent bindet Tinder nun mehr Infos in die Profile mit ein:
- 5 Hobbies: Aus einer überschaubaren Anzahl wählt man seine Interessen aus und sieht sofort beim ersten Blick auf ein Profil, ob es Übereinstimmungen gibt. Die sind dann nämlich deutlich optisch hervorgehoben. Der Jakob 2022 (wir erinnern uns: „Jakob“ steht stellvertretend für meinen Traumtypen) hat also auch „Meditieren“, „Spiritualität“ und „Lesen“ angegeben.
Für Leute, die keine Interessen haben, gibt es auch folgende Sachen zur Auswahl: Gin Tonic (ist ja super, aber als Hobby?), Kaffee (ebenso) und, naja, natürlich Netflix. - Sexuelle Orientierung: Man muss nicht angeben, wie man tickt, und wenn man es angibt, muss man es nicht im Profil anzeigen lassen – wieso man sich fragen könnte, warum man es dann angeben sollte –, aber wer etwa seine pansexuelle Polyamorie jedem auf den ersten Blick mitteilen will, kann es nun tun.
- Deutlich hervorgehoben werden nun auch: Wohnort, Job, Uni … Auch alles keine Pflichtangaben.
- Spotify-Songs einbinden: Wer seinen Lieblingssong angibt, bekommt diesen als kurzen Einspieler ins Profil implementiert. Wer mag, kann auch den kompletten Spotify-Account mit Tinder syncen, dann werden alle aktuellen Lieblingsplatten angezeigt. (Entweder hören viele Männer auch gerne Bibi Blocksberg zum Einschlafen, oder sie sollten mal über einzelne Familien-Accounts nachdenken …)
- Meeeehr, meeeehr Profilbilder!! Bis zu neun Stück können nun eingebunden werden. Und Videos nun auch! Tinder kontrolliert diese kaum. Mir werden auch Landschaftsbilder, Witzbilder oder auch Stockbilder mit Wasserzeichen (WHAAAAT?) angezeigt. Algorithmus Tinder 2022 V.4293482, shame on you!
2. Neue spielerische Funktionen
Zusätzlich dazu, dass man sein Profil mit Musik und Video pimpen kann, bietet Tinder 2022 eine Explore-Funktion: Eine Seite in der App, in der man gezielt suchen kann. Nach vorsortierten Themengebieten oder Interessen wie z. B. „Brunchen“ werden einem dann nur noch Leute gezeigt, die Kaffee oder Essen als Hobby haben.
Wer’s braucht. Es ist quasi nur ein Filter, den man über die eigene Sucherei legt.
Spannender sind da die 5 Fragen, die ab und an themenspezifisch gestellt werden und dann für 72 Stunden ins Profil integriert werden. Aktuell gibt es eine Frühlings-Edition: „Was gehört für dich zum Frühling dazu? – Frühjahrsputz, Sonnenbrille, Rausgehen, Minirock …“. Die eigenen Antworten werden wie die Hobbys aufs Profilfoto gelegt, sodass eventuelle Übereinstimmungen sofort zu erkennen sind. Das kann mal ganz lustig sein, zumindest wenn die Fragen und Antworten etwas klüger sind als die der aktuellen Frühjahrs-Umfrage. Ich feiere jeden Mann, der Minirock ausgewählt hat! Erstens, weil ich fiesen Humor mag und zweitens, weil manche Männer in Röcken echt etwas haben können.
Spannender ist doch ohnehin die Frage, was sich bei den Menschen auf Tinder 2022 geändert hat …
3. Mehr tolle Typen auf Tinder?
Sind nun wegen der letzten beiden Corona-Jahre soviel mehr Menschen bei Tinder gelandet, dass die Auswahl dort nun deutlich besser ist?
Ja, es ist mehr los.
Ist es deswegen einfacher? Ich sage mal: Es kommt darauf an, welcher Typ DU bist. Magst du lieber einen Tante-Emma-Laden mit nur drei Sorten Marmelade oder lieber die Auswahl eines Mega-Discounters mit 20423988 Möglichkeiten?
4. Mehr Phantasie im Profiltext bitte!
Der eigene Profiltext ist zeichenmäßig limitiert wie eh und je. Mir kommt es sogar vor, als hätte man früher etwas mehr schreiben können. Macht aber nix, weil viele Männer nach wie vor ohnehin nur ihre Körpergröße angeben, als ob das sonderlich wichtig wäre. Und etwas Aussagekräftiges wie „Nur F+“ oder „No ONS“. Kurz und knackig halten es die meisten und bedienen sich auch mal nur der kompletten Emoji-Palette, wobei die Spritzen-Icons aktuell die am meisten verwendeten sind. Neben Maßstab, Aubergine und Pfirsich natürlich.
Traurig ist die neue Entwicklung, in dem Profilfeld-Text NUR Negatives aufzuzählen: Was sie der er nicht haben soll. AKA: „Swipe links, wenn du …“. Mir scheint, als wäre die eigene Toleranzschwelle deutlich gesunken. Interessant ist nur noch, wer das eigene Weltbild komplettiert. Ist es wirklich das, was eine Beziehung ausmacht? Die Spaltung der Gesellschaft im Allgemeinen hat auch ihren Einzug in den Tinder-Mikrokosmos gefunden: Für manche scheint es elementar wichtig zu sein, welche politische Gesinnung und/oder medizinische Behandlungen jemand hat über sich ergehen lassen.
Nicht zu vergessen das minimalistischste Profil:
„Suche nur was fürs f*cken!“
Irgendein mann auf tinder, immer (sinngemäß)
Es ist nicht ausgestorben!
5. Das unfassbar Schlimmste …
Kommen wir nun zum Schrecklichsten, womit ich niemals, niemals, nie (!!!!) gerechnet hätte. Es ist kaum zu fassen und lässt mich glatt den Glauben in die komplette Menschheit verlieren. Es ist die skandalöseste Nachricht in diesen ohnehin schon krassen Zeiten.
Wie in Punkt 1) erwähnt, kann man nun seinen Lieblingssong einbinden.
Erschreckenderweise häuft sich als Lieblingssong in meiner gesuchten Altersgruppe (rund um die 40) „Don’t stop believin“ von Journey. Bitte waaaas?
Ey Leute, was geht mit euch, dass ihr „Don’t stop believing“ von Journey als Lieblingslied habt?
Ist das ein Code? Hab ich was verpasst?
Was sich nicht geändert hat
Die meisten, und davon kann ich mich selbst leider überhaupt nicht ausnehmen, sind wohl nach wie vor nur dazu auf Tinder, um ein paar langweilige Minuten zu verswipen und sich von ein paar Matches das Ego streicheln zu lassen. Wirklich ernst nehmen es wohl nur die wenigsten. Dass ein Chat zwischendrin einfach abbricht, weil der andere kein Bock hat, war schon immer „normal“. Neu hinzugekommen ist nun aber auch die Unart, das Match nach dem ersten „Hallo! {Weiteren freundlichen Text hier bitte vorstellen}“ kommentarlos zu löschen.
Ebenso wenig hat sich geändert, dass selbst vielversprechende Kontakte komplett kippen können. Sei es, weil mittendrin rauskommt, dass derjenige doch verheiratet ist oder sonst was. Und WENN es mal zum Date kommt, gibt es dann eben doch noch den Effekt, den ich komplett vergessen hatte: Dass ein Profil nichts, aber auch gar nichts mit dem Menschen dahinter zu tun haben muss. Nichtmal, weil er sich bewusst verstellt, nur weil er online eben komplett anders wirkt – und von meinen ganz eigenen Wahrnehmungsfiltern verzerrt wurde.
Fazit?
Tinder ist im Großen und Ganzen wie immer geblieben, auch wenn es hier und da ein bisschen moderner, jünger und und damit ein bisschen nach OK Cupid aussieht. Ein paar der neuen Funktionen sind ganz sinnvoll und/oder machen zumindest Spaß. Ein netter Zeitvertreib eben.
Aber auch wenn jetzt dort mehr Leute angemeldet sind und die Auswahl somit größer ist – für mich passt es mittlerweile umso weniger. Die Oberflächlichkeit der App war schon immer nur zu ertragen, solange man Lust auf erste Dates hatte. Wenn man die nicht mehr hat, ist diese Art der Annäherung einfach nur noch unerträglich. Um es kurz zu sagen – und nur in dieser Hinsicht: I’ve stopped believing.