Erfolgreiche Singlefrauen ü30 haben es besonders schwer auf dem Singlemarkt. Das behaupten immer wieder Frauenmagazine und jetzt die Augsburger Allgemeine in diesem Artikel. Wer sollte diesem Phänomen besser auf den Zahn fühlen können als Augsburgs berühmteste erfolgreiche Frau Sina Trinkwalder? Sie hat mit zwei Profilen Tinder getestet: Was kam dabei heraus? Was IST bittschön das Problem, das Single-Frauen über 30 haben?
„Erfolgreiche Singlefrauen ü30 haben keinen Erfolg auf dem Dating-Markt.“
Um das testen, hat sich Sina Trinkwalder den Tinder-Männern gleich zweifach gestellt. (Wer Tinder so gar nicht kennt, der liest hier, wie diese Dating-App funktioniert. Kurz gesagt wischt man Profilbilder nach links [Nay] und nach rechts [Yay]. Haben sich beide nach rechts gewischt, „matcht“ man und kann sich dann erst schreiben.)
Sina Trinkwalder hatte also zwei Profile, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Einmal als alleinerziehende Mutter ohne nähere Berufsbezeichnung, einmal als toughe Geschäftsfrau. Beide Profile sollen in etwa gleich viele Matches erhalten haben. Als erfolgreiche Geschäftsfrau wurde sie aber „angeschleimt“; die alleinerziehende Mutter habe jedoch Kommentare erhalten, die „sexistisch“ und „abfällig“ waren. „Unterirdisch (ist dafür) gar kein Ausdruck“, schimpft sie und schreibt sich auf ihrem Facebook-Account die Wut von der Seele. Ihr Posting dazu macht die Runde. Wir lernen den neuen Ausdruck „Fickfreiwild“.
Ist es echt so schlimm bestellt um Frauen auf dem Dating-Markt? Sind die Männer das Problem, dass Singlefrauen über 30, die noch dazu erfolgreich sind, allein auf weiter Flur stehen bleiben? Frau Trinkwalders Ergebnis spricht leider dafür, wie oberflächlich viele Männer auf Tinder sind. Aber Frauen denn nicht? Kommen wir beim Dating-Thema niemals aus diesen Klischee-Kistchen heraus?
Echt jetzt?
Bei Pauschalisierungen wie „erfolgreiche Frauen haben keinen Erfolg bei Männern“ könnte ich kotzen. Derartige Artikel machen leider immer wieder die Runde:
- Warum die perfekte Frau keinen Partner findet – T-online
WTF, perfekt? - Frauen über 30 und die Partnersuche – die Welt
Und die Männer? Und ü20? ü40? ü60?? - Die Einsamkeit der klugen Frauen – elitepartner
- Zu schlau für die Liebe – Emma
Einige sagen, wenn Frauen „zu schön“ sind, tun sie sich schwer. Männer würden sich dann „nicht mehr trauen“. Man argumentiert mit der Evolution: Der Mann orientiere sich immer nach unten und die Frau nach oben. Ein erfolgreicher Mann will also ein hübsches Dummchen, und eine erfolgreiche Frau will einen Milliardär. Braucht Ihr jetzt auch eine Kotztüte?
Ich dachte, wir schreiben das Jahr 2017.
Dating & das liebe Alter
Dating wird bei den über-30-Jährigen immer schwieriger. Verständlich – da wird die Luft eben dünner: Die meisten in diesem Alter sind vergeben, kurz davor zu heiraten, stecken in einer Scheidung oder befinden sich deswegen in Therapie.
Für einen Haufen Singlefrauen über 30 bleiben also wenige Männer um die 30 übrig. Umgekehrt ebenso, sollte man meinen. Nun wollen laut Evolution bzw. Frauenmagazinen bzw. selbst ernannten Dating-Gurus die Männer aber grundsätzlich alle lieber Frauen um die 20. Die haben keine Cellulite und gebären einfacher. Sind halt auch hübscher, ne. Das sind die Männer unter 30 aber oftmals auch. Trotzdem hätten wir Singlefrauen ü30 gerne jemanden auf Augenhöhe. Kann man doch erwarten in Zeiten der Gleichberechtigung.
Die Singlemänner über 30 sind aber aus dem Schneider: Dass sie eine zeugungsfähige und -willige, junge Partnerin haben wollen, ist halt evolutionär begründet. Da können sie nichts dafür. Dass Frauen sich aber „nach oben orientieren“, weil das ursprünglich sichern sollte, dass der Nachwuchs wohlbehütet aufwächst, darauf kann man heute ja scheißen. Die erfolgreichen Frauen verdienen jetzt genug. Der Nachwuchs ist safe. Die Frauen sollen also bitte „downdaten“, damit sie überhaupt noch einen abbekommen.
Was. Für. Ein. Scheiß.
Ansprüche & Abstriche
Den Abstrich sollen also wir Frauen machen. Das können wir besser: Wir haben ja mehr Erfahrung damit, alleine schon deswegen, weil wir den regelmäßig beim Frauenarzt machen lassen. Oder wie?
Ein Kollege hat vor Kurzem so wunderbar gesagt: „Es sind nicht die Ansprüche, die man herunterfahren muss – sondern die Erwartungen.“ Das bringt es schon besser auf den Punkt. Wir müssen nicht downdaten. Ich werde niemals in meinem Leben davon abrücken, dass „er“ klug sein muss. Und mir optisch so zusagen muss, dass ich ihn gerne knutschen würde. Ich bin aber Äonen davon entfernt, mir von einer Partnerschaft Glück zu erwarten, universelle Befriedigung sämtlicher Bedürfnisse und ein Gefühl der Sicherheit. Dafür bin ich selbst zuständig. Wenn ich das nicht alleine hinbekomme, wird die nächste Beziehung genau daran scheitern. Wenn ich das aber alleine hinbekomme, könnte man sich natürlich fragen: Wozu braucht man dann noch eine Beziehung?
Wofür braucht man heute schon eine Beziehung?
Wir versorgen uns heute alle selbst: Wir haben unsere Jobs, können unsere Wohnungen halten und schnieke einrichten und gönnen uns Bio-Avocados für 3 Euro das Stück. Wir sind unabhängig. Niemand braucht einen Partner, so wie früher, als die Rollenverteilung klar war: Er verdient die Kohle, sie versorgt das Heim. Er wäre ohne Frau verhungert, sie hätte unter der Brücke leben müssen. Oder lebenslang bei ihren Eltern, die sie irgendwann in die Dachkammer gesperrt hätten. Weil: eine Frau ohne Mann, oh je!
Heute können Männer kochen und Frauen bezahlen ihre Miete selbst. Männer wie Frauen sind in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Sie kommen alleine zurecht. Und bekommen das saugut hin. An dieser Stelle klopfe ich uns allen einmal auf die Schultern. Wir sind unabhängig. Stark. Und frei. Yay!
Nur stellt uns genau das ein Bein auf der Partnersuche: Wir wuppen unser eigenes Leben so wunderbar, dass ein neuer Mensch mindestens superklassegeil sein muss, damit wir ihn da hineinlassen. Das kostet ja auch erst mal Energie. Der eigene Egoismus und der festgefahrene Single-Zeitplan müssen weichen, wenn sich ein neuer Lebenslauf mit dem eigenen verweben soll. Wenn ich einen Freund habe, wie viel kann ich dann noch bloggen? Genau so viel, hoffe ich doch. Aber ich will dann ja auch Zeit für ihn haben. Neben der Arbeit, dem Laufen, dem Yoga und den Treffen mit den Freunden. Und – ganz wichtig – Zeit mit mir alleine. Wo hat ein Typ da überhaupt noch Platz? Also vom Kopf her: Gar nicht.
Wenn wir unseren Single-Status mit dem Kopf erklären wollen, sieht es natürlich scheiße aus.
In all diesen Artikeln, warum Frauen über 30 so alleine dastehen, geht es immer um knallharte Faken und Begründungen, die mit aller Gewalt hervor gezogen werden: „Zu schön! Zu erfolgreich! Zu unabhängig! Zu … zu … zu!“
Das Problem ist: Wir wollen die Liebe bzw. ihr Nichtfunktionieren mit dem Kopf begründen. Ausgerechnet die Liebe? Wollen wir ihre Funktion wirklich damit erklären, wie wer aus welchen Gründen mit dem anderen wie gut und warum zusammenpasst? Wollen wir ernsthaft behaupten, dass sich Liebe nur dann ergibt, wenn rationale Parameter stimmen? Ist Liebe 2017 etwas so Vorhersehbar- und Definierbares, dass uns Apps und Partnerbörsen den „perfekten“ Partner vorschlagen können? Algorithmen versuchen es. Aber wie unser Herz den anderen Menschen dann findet, wissen sie nicht. Zum Glück.
Wir können Liebe nicht her- oder wegargumentieren.
Natürlich können wir uns auch mit jemandem zusammentun, wenn wir es nur wollen. Auch Erich Fromm ist sich in „Die Kunst des Liebens“ uneins, ob Liebe nun etwas ist, das schicksalshaft einschlägt oder ob man nicht eigentlich jeden lieben kann – wenn man sich nur darauf einlässt.
„(Beide Auffassungen sind) richtig, die Ansicht, dass die erotische Liebe eine völlig individuelle Anziehung, etwas Einzigartige zwischen zwei bestimmten Personen ist, wie auch die andere Meinung, dass sie nichts ist als reiner Willensakt. Vielleicht sollte man besser sagen, dass die Wahrheit weder in der einen noch in der anderen Auffassung zu finden ist.“ *
Vereinfacht: Liebe ist da oder kommt – oder eben nicht. Sicher kann sie auch wachsen, sogar aus dem Nichts. So eine gewaltige Kraft hat die Liebe eben.
Das „Problem“ sind wir wir selbst.
Wir sind die Generation Beziehungsunfähig. Wir wollen und können uns nicht entscheiden, weil wir es in Beziehungsfragen auch selten müssen: Es geht uns auch ohne Partner fantastisch. Ja, auch uns Frauen. Ein bisschen knutschen hier, ein bisschen Sex da, das ist die Dosis an Partner, die sich viele Singles – egal ob männlich oder weiblich – wünschen. Jeder holt sich die genau die Menge, die er braucht. Eine Überdosis wollen die wenigsten und sagen lieber Tschüss, bevor sich daraus etwas Festes ergibt.
Bei Tinder schreiben viele offen ins Profil, dass sie nichts Ernstes suchen und/oder fest liiert sind. Wer die datet und sich dann beschwert, ist selbst schuld. Ich sehe die Hübschen an, seufze und mein Daumengelenk renkt sich nach links aus.
Und ja: Es gibt sie. Die Arschlöcher auf Tinder. Wie im echten Leben. Weil echte Menschen auf Tinder sind. Tinder ist nicht die Buhuu-App, über die wir uns aufregen müssen. Sondern die Menschen, die auf Gefühle anderer scheißen, weil sie nur egoistisch ihr Ding durchziehen wollen. Aber die tun es ja nicht auch unbedingt aus Spaß, sondern weil sie es anders gar nicht mehr gewöhnt sind.
Manchmal sind vielleicht auch sexistische Idiotenarschlöcher auf Tinder. Wobei mir letztere nie begegnet sind. Frauen – auch ich! – verhalten sich auch oft wie Arschlöcher auf Tinder. Viele sind – bewusst oder unbewusst – Beziehungsunwollende auf dem Singlemarkt. Wie soll da eine Flirt-App funktionieren? Aber die ist dann schuld?
Wer von uns Singles will ernsthaft eine Beziehung?
Es geht auch subtiler in Sachen Arschlochitis: Viele Männer haben echt nette Profile. Wir matchen. In dem Moment, wenn mir Tinder „Du hast ein neues Match!“ sagt, denke ich mir schon „Oh Gott“: Dann muss man ja schreiben. Auf der blöden iPhone-Tastatur mit dem noch blöderen Autocorrect. Ich brauche Stunden, bis ich die richtige Antwort getippt und das dazu passende Emoji gefunden habe. Mein egoistisches Stimmchen, das viel Zeit für sich will, jault auf: Ist er das wert? Also schreibe ich nur ein bisschen. Weil es ja auch ein bisschen Spaß macht. Aber wofür eigentlich?
Es wird immer netter in unserem Chat, und plötzlich fragt mich der Münchner: „Bist du öfter mal in München?“ Auf mein empörtes „Du kannst auch nach Auxburg kommen“ meldet sich der Snob nicht mehr. Er hat das Match gelöscht. 50 Kilometer hin- und herfahren sind uns heute trotz Globalisierung schon viel zu viel Aufwand. „Früher“ sind Dates sogar aus Bremen zu mir gekommen, oder wir haben sogar ein Date in der Mitte ausgemacht. Fragt mich bitte nicht, wann so etwas das letzte Mal war. Es strengt zu sehr an, darüber nachzudenken.
2016 sind wir zu faul, zu bequem und können/wollen uns nicht entscheiden. Die Auswahl wird immer größer, auch die direkt vor Ort. Jeder Depp installiert sich Tinder. Auch oder gerade weil er es nicht ernst meint. Wir treffen jemanden, der drei Straßen weiter wohnt, denken beim ersten Date aber schon, dass da eigentlich noch etwas Besseres um die Ecke kommen könnte. Wenn der 20 Ecken entfernt wohnt, warten wir lieber nochmal ab. Wir sind uns selbst das größte Problem.
Die Argumentation, „warum“ eine Frau ü30 Single ist, ist doch einfach nur scheinheilig.
Mir gehen langsam die Argumente aus: Der Erfolg der Frauen ist nicht an ihrem Single-Sein schuld. Ihre Intelligenz und ihr Aussehen auch nicht. Männer sind nicht per se sexistische Arschlöcher. Vielleicht haben wir zu hohe Ansprüche, gut. Wenn es nicht klappt, dann aber vor allen Dingen deswegen, weil man nicht will.
Denn mal im Ernst: Die erfolgreichen Frauen haben doch deshalb ihren Erfolg, weil sie Macherinnen sind und etwas dafür tun, dass sie das bekommen, was sie wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein toller Mann eine Frau deswegen sausen lässt, weil sie ihm „zu erfolgreich/zu klug/zu whatever“ ist. Mit welchen Argumenten können wir jetzt bitte noch erklären, wo können wir endlich den Schuldigen finden, warum so viele tolle Frauen Single sind?
Es sind alles scheinheilige Erklärungsversuche dafür, was keiner offen zugeben will: Es gibt halt Frauen, die gerne Single sind. Sie wollen (gerade) keinen Mann. Tadaaaaa.
Vielleicht ist das Problem sogar noch größer als wir selbst.
Und vergessen wir bei all dem eines nicht: Vielleicht gibt es etwas, das größer ist als wir. Etwas, das mehr Einfluss darauf hat als wir selbst, wann wir wem wie wo über den Weg laufen und ob wir dann „Boah wie geil, mit dem/der will ich alt werden!“ denken oder nicht. Nennt es das Leben. Karma. Kismet. Schicksal. Gott. Whatever. Das könnte ein Faktor sein, den wir Vernunfts-Äffchen lieber außen vor lassen. Wir wollen alles selbst unter Kontrolle haben. Auch das Verlieben. Klappt aber nicht. Also ist Tinder schuld. Oder die Frauen sind schuld, die zu über 30, zu erfolgreich, zu klug, zu schön, zu anspruchsvoll sind. Oder die Männer, die alle nur 20-jährige Häschen wollen und sexistische Arschlöcher sind. Wir suchen nach Schuldigen, anstatt anzuerkennen, dass der Single-Status nichts ist, wofür man sich entschuldigen muss.
Und, nein: Wenn „es nicht klappt“, liegt es nicht daran, dass etwas mit dem Menschen falsch ist. Er will halt nicht. Oft will er sich nicht eingestehen, dass er nicht will. Oder er läuft gerade nicht dem Menschen über den Weg, bei dem es Zackbumm macht. Wenn er in den hineinstolpert und dann immer noch sagt „Hell no, ich bleib lieber allein“, dann reden wir weiter, was bei ihm falsch läuft. Vorher aber bitte nicht.
Quelle:
Die Kunst des Liebens, Erich Fromm, Econ Taschenbuch Verlag, 6. Auflage, Seite 70
Titelfoto: Engin Akyurt / Unsplash