September 2017, Berlin. Ehemals beliebte Stadtteile wie Mitte sind wie leergefegt. Touristen aus allen Ländern lassen enttäuscht ihre Spiegelreflexkameras sinken. Wo sind all die coolen Künstler-Typen, die „Ich mach was in den Medien“-Leute und jungen Gründer*innen hin? Tatsächlich: Die Hipster wurden aus Berlin verbannt! Das Magazin „Mit Vergnügen“ berichtete in „Weinende Hipster & hungernde Foodies: So sähe Berlin aus, wenn alle Trends plötzlich verschwänden“. Was das mit Augsburg zu tun hat? Sehr viel. Der enttäuschte Hipster ist nämlich nach seinem kleinen Zwischenstop in Leipzig – 2017 viel zu Mainstream! – ein paar Kilometer weiter Richtung Süden gezogen. Nach Augsburg.
Auxkvisit berichtet exklusiv aus 2018.
Augsburg: Ein paradiesisches Exil für Hipster?
Die Stadt Augsburg hat im September 2017 angeboten, 35.000 Ex-Berliner-Hipster aufzunehmen. Man hätte sich im Verlauf der vergangenen Jahre an das Phänomen der Hipster gewöhnt, ließ der ehemalige Oberbürgermeister verlauten. Für die Augsburger ist der Anblick vollbärtiger Röhrenhosentragender längst nichts Neues mehr. Die aus Berlin seien also herzlich willkommen.
Initiator war, wie könnte es anders sein, das Grandhotel Cosmopolis. Leider konnte das Grandhotel trotz langjähriger Erfahrung mit Asylbewerbern dem Ansturm der Ex-Berliner-Hipster nicht standhalten, berichtet eine Mitarbeiterin, deren Name nicht genannt werden darf. Zu groß ist die Pein, dass das Grandhotel seinem Anspruch, Bedürftigen und/oder Kreativen Raum zu bieten, nicht mehr genügend Platz einräumen kann. Die Berliner Kreativen seien einfach zu viele. Der Lebensraum ist in der Stadt Augsburg eben begrenzt. Noch dazu ist Augsburgs Altbau den stuckverwöhnten Hipstern zu alt: Die Fenster und Raumhöhe direkt in der Altstadt wären ihnen zu niedrig, beklagen sich die Ex-Berliner-Hipster. In Neubau will aber auch kein Hipster, deswegen müssen sie nun Nummern ziehen, wer unter der schönsten Brücke schlafen darf. Besonders beliebt sei die Bismarckbrücke.
Die lang ersehnte Renaissance Gentrifizierung von Augsburg-Oberhausen
Die Hipster haben sich deswegen verbündet und das Gaswerk besetzt: Die meterhohen Räumlichkeiten und ramponierten Ecken sähen so nach Berlin aus, meint Ivo K., ehemals aus Kreuzberg. Die Augsburger Kreativ-Szene hat das bewilligt und eine Einigung gefunden, wie das neue Augsburger Kreativ-Areal mit den Bedürfnissen der Berliner Hipster in Einklang gebracht werden kann. Das Areal rund um den Gaskessel wird mittlerweile nur noch als „Berlinhausen“ bzw. „Kreatives Ghetto“ bezeichnet. Dass ausgerechnet seine Stadt nun ein zweites Berghain hat, entzieht sich der Kenntnis des gemeinen Augsburgers. Der würde da ohnehin nicht reinkommen.
Aber nicht nur der durch Augsburgs schwebende Geruch kreativen Geistes hat die Hipster nach Auxburg gelockt: Deutschlands bester Barbier Sezer Soylu befindet sich in dieser Stadt. Das kostenlose Willkommens-Package der Stadt Augsburg für gestrandete Ex-Berliner-Hipster umfasst eine 1,5-Minütige Vollrasur des Gesichtsbereichs inklusive einem Filterkaffee und einem Stück Datschi. „Ein bisschen anpassen müssen die sich halt schon“, so der neue Oberbürgermeister. „Wie soll man die denn sonst von den Augsburger Hipstern unterscheiden?“
Sie können nicht vernünftig miteinander sprechen, woisch!
Die zusätzlich eingestellten 43 Barbiere und Barbierinnen beklagen sich bereits über die Probleme aufgrund der Sprachbarriere. Die Berliner würden immer so entsetzt dreinschauen, wenn sie „woisch“ sagen. Die Hipster wissen nicht, was sie darauf antworten sollen (einmal Nicken und Grunzen oder Schulterzucken würde reichen). Die traumatisierten Barbiere und -innen wissen sich nur zu helfen, indem sie den gesamten Vollbart in einem Ratsch abreißen. Seit Ende 2016 ohnehin wieder Schnauzbart angesagt. Einmal zwirbeln lassen kostet schlappe 8 Euro. Pro Seite.
„Endlich darf ich meine Birkis wieder tragen!“
Eric H., Ex-Berliner-Hipster
Augsburg-Style ist eh viel hipsteriger
Wurde ihr Stil in Berlin ständig von Ahnungslosen bekritelt und belächelt, dürfen die Hipster in Augsburg wieder ungestraft Birkenstocks tragen. Mit diesem Schuhwerk fallen sie im tendenziell praktisch und öko-angehauchten Auxburg nicht weiter auf. Spätestens das omnipräsente Kopfsteinpflaster bietet die perfekte Ausrede dafür, die flachen Latschen auch außerhalb der eigenen Wohnung zu tragen.
Ein Goodie-Paket von Augsburg voller lokal-typischer Überraschungen
Bei Ihrer Einreise wurde den Hipstern ihre Jute-Beutelchen entnommen. Sie erhielten im Austausch einen Deuter-Rucksack. Enthalten waren:
- ein Paar neue Birkenstocks in Einheitsgröße,
- eine Funktionsjacke,
- ein Gutschein für ein Stück Zwetschgendatschi & 1 Tasse Kaffe auf dem Augsburger Stadtmarkt,
- ein 250-Euro-Gutschein für Möbel aus dem Segmüller,
- ein Ticket für das letzte Modular 2018 auf dem Augsburger Plärrer,
- ein Wörterbuch „Deutsch-Schwäbisch“,
- und ein Handbesen mit -schaufel für die Kehrwoche.
Augsburgs Einzelhandel jubiliert
Die Ex-Berliner-Hipster wollen in ihrem neuen Lebensraum keine hippen Berliner Klamotten, Accessoires und Möbel mehr besitzen. Sie sähen keinen Grund mehr dafür, Berliner Jungdesigner zu unterstützen, beklagt sich Jan O., Ex-Berliner. Sie wollen jetzt mal etwas Neues, streichen ihre Wände in oranger Wischtechnik und geben auf dem Schwarzmarkt Tausende für Kacheltische aus. Augsburger Tätowierer stechen wieder asiatische Schriftzeichen über geometrisch-minimalistische Formen.
Augsburg profitiert von den Berliner Altlasten und erfindet sich neu
Was sie auf ihrer Flucht mitgenommen haben, verschenken die Ex-Berliner-Hipster großzügig an stilbedürftige Augsburger.
Birgit F. vom Slow-Fashion-Laden ONIMOS führte im März 2018 ihr Zweitlabel BONIMOS ein. Darüber verkauft sie ausschließlich die Kleidung, die ihr die Hipster günstig überlassen haben. Mausgraue Oversize-Pullover aus 100% dreifach gekämmter Wolle von Berliner Dachterrassen-Kaschmirziegen sind nun für günstige 399 Euro (50% vom OVP) zu erstehen.
Vermittler zwischen Augsburger und Ex-Berliner-Hipstern
Besonders kooperations- und aufnahmebereit den Ex-Berliner-Hipstern gegenüber zeigen sich: Die schwarze Kiste, der City Club/das City Café, das Picnic, die Färberei und das, was früher mal Pow Wow hieß, sowie die Golden Glimmer Bar und Hallo Werner sowie alle Läden, die in der Ludwigsstraße zu finden sind und das Kreuzweise.
Wurden die Ex-Berliner-Hipster von den Augsburger Grantlern nur verhalten bis gar nicht aufgenommen, so war die Aufnahme in oben genannten Etablissements bei den jungen Augsburgern sehr freundlich, ja schon direkt euphorisch. Man habe sich gegenseitig die Vollbärte gekrault. Die Hipster fühlen sich dort endlich akzeptiert und willkommen geheißen.
Es wird eng in Augsburg!
Die Beliebtheit der Schwarmstadt Augsburg wird ihr nun zum Verhängnis. Schnellten die Mietpreise in den letzten Jahren bereits enorm in die Höhe – Bloggerin Miriam Lochner von auxkvisit.de berichtete bereits –, zahlt der Augsburger und zugezogene Ex-Berliner-Hipster nun durchschnittlich 2340 Euro kalt für eine 17-qm-Wohnung. Pro Woche. Die Hipster lösen das Problem nun so, dass sie zu Zwölft einziehen und sich somit immerhin die Heizkosten sparen.
„Der Geruch von 12 Paar Birkenstocks ist unerträglich!“
Jana Z., Ex-Berliner-Hipsterin
Noch mehr Medienfuzzis sprengen Augsburgs Kreativszene
Eine zusätzliche Belastung stellt der Freigeist der Berliner dar: Sie sähen es nicht ein, etwas anderes als etwas Kreatives/in den Medien/in der Kulturwirtschaft machen zu wollen, sagt Ole B., Sprecher der Bewegung „Berliner*innen in Au*burg“. Augsburg hatte schon vorher mit einer überdurchschnittlichen hohen Anzahl Kreativer zu kämpfen – 20 % sollen es da bereits gewesen sein. Zuviel für eine Stadt, die ehemals eine Fabrikstadt war und sich auf ordentliches Handwerk zu besinnen wusste. Sämtliche Versuche, die Ex-Berliner-Hipster und Hipsterinnen als Weber und Weberinnen einzusetzen, schlugen fehl. Die Hipster webten in jede ihrer Arbeiten geometrische Formen. „Des hätt doch einfarbig blau sein solle!“, beklagt sich Werher H., Weber-Meister aus Augsburg. „Und dann hätt’ die noch 1 kupferfarbenen Faden gnomme!“ Die Stadt Augsburg bietet Berliner Ex-Hipstern bereits verzweifelt unbefristete Stellen als Beamte an.
Es geht au andersch, woisch!
Hinzu kommt die unablässige Weigerung der Zugezogenen, Schwäbisch zu lernen. Erwähnte Bloggerin Miriam L. sympathisiert unverständlicherweise mit dieser Einstellung und hat die Initiative „Es geht auch ohne SCH“ ins Leben gerufen. Frau L. fiel der Stadt bereits vor Jahren unangenehm ins Auge, als sie auf ihrem Blog www.auxkvisit.de wiederholt Augsburg mit einem X schrieb. Viele andere, ja sogar gebürtige Augsburger machen das ebenso. Warum, weiß keiner so genau. Aber es geht noch weiter: Einige Bäckereien bieten bereits Zwet*gendat*i an. Der Augsburger Sprach- und Dialektforscher Erwin H. reagiert entsetzt und sieht ein Ende des Augsburg-Stadt-Schwäbischem für Mitte 2019 voraus. Die adt Augsburg reagiert mit recken und Entsetzen.
Harmonie im Untergrund
Kollidieren zum Teil die Vorstellungen der Augschburger mit den neuen Bürgern, so wird doch von zahlreichen friedlichen, ja sogar lustigen Zusammenschlüssen junger Augsburger und Ex-Berliner-Hipstern berichtet.
„Was habt ihr den alle! Wir ver*ehen uns subba!“
Martin H., junger Augsburger und Berliner-Ex-Hipster-Sympathisant
(trägt selbst Vollbart und zu enge Röhrenhosen seit 2012)
In den 2010er-Jahren wurde eine Hipsterisierung Augsburgs immer wieder wahr-, aber vermutlich zu wenig ernst genommen. Dass all diese Vollbart-, Röhrenhosen- und Mützen-Träger*innen nun mit den Berliner-Ex-Hipstern sympathisieren, erschreckt den neuen Oberbürgermeister. „Das kommt unvorbereitet“, gibt er zu. Er kann aber nichts mehr dagegen machen: Erste Augsburger und Ex-Berliner-Hipster sollen sich bereits erfolgreich fortgepflanzt haben.
„Wir haben uns über Tinder kennengelernt!“
Lea Z. und Ivo H., im 3. Monat schwanger
Die gemeinsame Schnittmenge
Um Lösungen für eine friedliche Koexistenz zu finden, hat sich der Hipster-Beauftragte, Stadtrat Xaver M. und die Ex-Berliner-Hipster zusammen mit einigen Vermittlern wie Bluespots Productions, Theter und der Raumpflegekulturverein sowie Miriam L. vom Blog Auxkvisit im City Café am 29.5.2018 zusammengesetzt. In diesem Etablissement, halb Augsburg, halb Berlin, konnten ohne nennenswerte Handgreiflichkeiten folgende Vereinbarungen getroffen werden.
Die Aufgaben der Stadt Augsburg:
- Augsburg ist verpfichtet, Wohnraum anzubieten, den sich jeder in der Kreativbranche leisten kann.
- Das Kopfsteinpflaster soll komplett mit einer Heizung ausgestattet werden, damit die Hipster auch im Winter gefahrlos Birkenstocks tragen können bzw. freie Knöchel bei Minusgraden.
- Die Stadt Augsburg bietet gratis Augentraining-Kurse an, damit Ex-Berliner-Hipster und Augsburger mit Sehschwäche endlich ihre beknackte Nerdbrille abnehmen können.
- Für die Yoga-Kurse der Ex-Berliner-Hipster müssen sämtliche Augsburger Turnhallen ausreichend Platz anbieten; Augsburgs Yoga-Kurse reichen dafür leider nicht aus.
- Sämtliche Restaurants, Cafés und Kneipen müssen veganisiert werden. Die Nahrung müsse auch frei von a) Lactose, b) Fett, c) Zucker, d) Nährstoffen, e) allem sein. Alternativ dürften die Restaurants, Cafés und Kneipen auch nichts anbieten für denselben Preis.
Die Aufgaben der Ex-Berliner-Hipster:
- Der Ex-Berliner-Hipster verpflichtet sich, zumindest an den Stellen „sch“ zu sagen, wo eines schteht.
(Regelung nach Duden, 3248902389. Auflage, Februar 2018) - Der Ex-Berliner-Hipster verpflichtet sich, nicht mitten auf der Konrad-Adenauer-Allee stehen zu bleiben und den Verkehr zu gefährden, weil er gerade dringend ein Foto für Instagram machen sowie den passenden Filter und das dafür passende Emoji heraussuchen und das Ganze abschließend instagrammen und snapchatten muss.
- Der Hipster soll seine Spätzle verdammt noch mal essen, solange sie noch heiß sind, anstatt sie zu fotografieren.
- Einen Vollbart darf als Ex-Berliner nur noch tragen, wer eine nach §142422, Abschnitt 2.0 nachgewiesene Allergie gegen
a) Nassrasur
b) Trockenrasur
c) Epilation mit Sugaring
d) Epilation mit Fadentechnik
e) weiteren Haar-Entfernungs-Methoden (physikalisch, chemisch)
hat.
Das Formular für die Bestätigung der Allergie kann beim Gesundheitsamt Augsburg, Hoher Weg 8, beantragt werden. - Über die Existenz weiterer Körperbehaarung wird noch diskutiert.
- Der Ex-Berliner-Hipster soll den Augsburger Seitenscheitel wenigstens mal ausprobieren.
- Der Ex-Berliner-Hipster soll wenigstens versuchen, sich das irre Lachen zu verkneifen, wenn er bemerkt, dass man in Augsburg zu allen wichtigen Punkten innerhalb von maximal 12 Minuten kommt. Er darf nicht stöhnen, wenn ein Augsburger sagt, „Oh, das ist aber weit!“.
Die Aufgaben der Augsburger*innen:
- Sämtliche Punkte für die Ex-Berliner-Hipster gelten auch für Augsburger, die bereits mehr oder weniger hipsterisiert wurden.
- Augsburger Friseuren und Friseurinnen ist es untersagt, asymmetrische Frisuren zu schneiden.
- Augsburgs Interior- und Schnickschnackläden verpflichten sich, sämtliches Zeug aus Kupfer aus ihren Läden zu entfernen.
- Der Verkauf und Besitz kupferfarbiger Sprühdosen ist untersagt. Eventuell vorhandene Farbreste dürfen bis Januar 2023 aufgebraucht werden.
- Das Gleiche gilt für 50er-Jahre-Pastellfarben.
- Für eine reibungslose Kommunikation zwischen Augsburgern und Hipstern, die wegen der Sch-Laute erschwert sein dürfte, empfiehlt die Stadt, bei einem unerwarteten Nichtvorhandensein von Smartphones das erforderliche Emoji zu tanzen.
Wenn sich jeder daran hält, sollte eine harmonische Koexistenz von Hipstern und Augsburgern möglich sein. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Hipster-Virus
a) Augsburg noch mehr ergreift;
b) 2019 kein Thema mehr sein wird.
Titelbild: Ein Hipster im Senkelbach-Quartier, weil es rund ums Gaswerk auch zu eng wird.