Auxburg und Flörten ist ja so ne Sache. Ich berichtete bereits: Da ich meistens in den unmöglichsten Situationen auf tolle Typen treffe, schubse ich Männer nach links oder rechts. Zumindest auf Tinder.
So einfach geht Tinder
Tinder will das reale Leben imitieren: Sehen wir Leute im Alltag, denken wir unter- oder bewusst auch „Yay“ oder „Nay“ oder „Hm“. Die Yay-Menschen, bei denen wir zweimal hingucken würden, wischen wir bei Tinder nach rechts oder geben ihnen ein Herzchen. Erst, wenn er/sie es ebenfalls getan hat, kann man miteinander kommunizieren. Insofern ist die kostenlose App einfacher als die Realität: Man ist schon einmal besser davor gefeit, von Menschen angesprochen zu werden, die einen selbst nicht interessieren – und weiß, dass man sich gegenseitig gut findet (im Tinder-Sprech „matcht“). Wen wir ins Aus bugsiert haben, der erfährt davon nichts. Böse Zungen könnten an dieser Stelle nicht ganz zu Unrecht behaupten, Tinder wäre Flörten für Feige.
Da ich irgendwann einen Daumen-Links-Swipe-Automatismus bekomme und damit schon auch aus Versehen die Guten ins Nirvana gewischt habe, was überaus doof ist, weil man jedes Profil nur einmal gezeigt bekommt*, und meine Nachbarn wegen meines Aufschreis sicher schrecklich erschrocken sind, praktiziere ich mittlerweile eine „Schau das Bild an und beschreibe es“-Strategie und halte den Daumen währenddessen still (und entferne ihn am besten vom Screen): „Das ist also Hans. Hans trägt die Haare extrem kurz und gegelt, trägt gerne rosa Polohemden, stellt den Kragen hoch und poliert sein Cabrio jeden Sonntag auf Hochglanz.“ Erst DANN darf mein Finger Hans nach links bewegen. Wenn sich die Augen-Daumen-Connection verselbständigt, ist die Gefahr zu hoch, dass „Das ist Jakob. Jakob hat fabelhafte Wuschelhaare, eine schöne Nase, Bart und eine Katze“ auch links landet. Und das wollen wir ja nicht, sonst nerve ich Euch noch drei Jahre lang mit Tinder-Stories oder muss aus meiner Wohnung raus.
* Bezahlende User der Premium-Version haben übrigens die Option, aus Versehen Weggewischte wieder zurückzuholen.
Registrieren & das Tinder-Profil
Bei Tinder kann man sich nur via Facebook registrieren (Update 2022: Jetzt geht es nur noch über die Telefonnummer!). Die dort hinterlegten Daten werden dann automatisch gezogen und – schwupps – hat man sein erstes minimalistisches Profil mit Vornamen und Alter erstellt und sucht sich das Profilbild oder mehrere aus, das man auf Tinder verwenden möchte. Zudem zieht sich die App die Interessen und Freundesliste, damit sie eventuelle Übereinstimmungen aufzeigen kann. In den Einstellungen gibt man an, ob man nach Männern und/oder Frauen sucht und setzt die Regler auf die Alters- und Kilometer-Grenzen, innerhalb derer man suchen will. Man kann auch tindern, ohne selbst ertindert werden zu können. Fiese Fleischbeschau anstatt Flörten nennt man das dann wohl.
Profiltext muss man auf Tinder nicht wirklich liefern, kann aber. Hierbei ist jedem frei überlassen, ob er dort seine Selbstbeschreibung, Wunschliste oder eine Ladung Emoticons verwenden will. Wer mag, kann auch seinen Instagram-Account mit Tinder verbinden und dann seine Moments sharen oder so. Davon habe ich selbst die Finger gelassen und daher keine Ahnung.
Kritik
Tindern geht super-easy, bequem und überall. Man kann im Schlafanzug flörten, mit fettigen Haaren, auf der Couch oder auf dem Klo. Passt nur auf, dass das Handy nicht in die Schüssel fällt und das WLAN aktiviert ist, denn Tinder frisst Traffic wie nichts.
Leider führt das simple Prinzip der Bildbeschau schnell zu einer Menschenkatalogmentalität: sehen, aufgrund minimalster Vorlagen beurteilen, zack. „Ich mag deinen T-Shirt-Audruck nicht, also weg mit dir.“ Dass der andere aber ein ganz besonders nettes Lachen hat, werden wir niemals erfahren. Weil es immer besser und perfekterer geht, befördern wir viel zu viele Leute nach links, die vielleicht längst gut oder perfekt für uns gewesen wären.
Tinder dient leider auch für viele User als reines Instrument der Selbstbestätigung und -inszenierung. Sie sind nur registriert, um Likes/Matches zu sammeln, wetteifern sogar mit ihren Freunden, holen sich im übertragenen und nicht übertragenen Sinn auf ihre 642 Matches einen runter und haben nicht das mindeste Interesse an den Menschen hinter den Profilen. Das sind dann die, die prophylaktisch alles und jeden nach rechts wischen und die Funktion der App ad absurdum führen, weil es nie zur Interaktion kommt.
Nichtsdestotrotz ermöglicht Tinder unkompliziert Kontakte. Sehen, gut finden, schreiben, treffen geht bei Tinder schneller über die Bühne als bei anderen Onlinedating-Portalen und gefahrloser als in der Realität, in der man sich schnell eine Abfuhr holen könnte, an der man je nach Selbstbewusstsein ein paar Sekunden oder Stunden zu knabbern hat. Mit nervigen Leuten wird man kaum konfrontiert oder entfernt sie einfach, beginnen sie zu nerven.
Tinder steht im Allgemeinen hoch in der Kritik, vor allem reine Sexkontakte zu fördern. Ich kann das nicht bestätigen. Profile mit eindeutigen Absichten kommen mir selten unter, und die, die ich getroffen habe, waren alle anständige Kerle.
Und warum dann Tinder und nicht in der Tram Ausschau halten? Bei Tinder sind eben die Typen, die in einem anderen Stadtteil oder in einer anderen Stadt wohnen oder ständig in Nachtschicht arbeiten und die man sonst niemals kennengelernt hätte. Man ist weder Nerd noch sozialer Versager, wenn man online datet. Man ist erst einer, wenn man es in der Realität gar nicht erst versucht.
Tindern für Fortgeschrittene
Viele User nutzen Tinder, um einfach so Leute kennen zu lernen: Auf Reisen zum Beispiel oder weil sie gerade umgezogen sind. Es muss eben nicht die große Liebe oder eine heiße Nacht dabei herausspringen – Tinder verbindet Menschen, die sich interessant finden und fördert somit auch Freundschaften und sogar Job-Kontakte.
Sich der enormen Reichweite Tinders bewusst (1,6 Billionen weltweit sind es bereits – Quelle), nutzte die irische Kampagne „Turn off the red light“ Tinder als Medium. Das finde ich als virales Marketing geschickt platziert, möchte damit jetzt aber auch nicht anregen, reihenweise Fake-Profile anzulegen.
Mein Fazit
Tinder hat Onlinedating der breiten Masse schmackhaft gemacht, und so können wir 2015 ohne rot zu werden sagen: „Ja, ich gucke online nach dem nächsten Lieblingsmenschen!“ Sicher ist es nicht die beste Art, weil dabei eben so vieles fehlt und die Programmierer zum Glück noch nicht raushaben, wie man Art, Ausstrahlung und Geruch transportiert – aber es ist eben eine Möglichkeit, seinen Such-Radar wortwörtlich zu erweitern. „Wer suchet, der findet“ beißt sich an dieser Stelle natürlich enorm mit „du musst loslassen, was du suchst, und dann kommt es zu dir“. Ich bin überaus gespannt, auf welchen dieser Wege mein nächster Lieblingsmensch und ich aufeinander stoßen.