Kannst Du flirten? Ich nicht so.
Wie das als Single in Augsburg so ist? Wie überall wo anders wohl auch. Ich habe ein bisschen Übung darin – wenn nicht sogar ein bisschen mehr. Ich könnte sogar hochnäsig behaupten, ich wäre darin Profi. Vor allem, was Flört-Versuche in Trams und darum herum angeht.
Nein, ich habe mich nicht verschrieben: Flirten ist das mit Grandezza, roten Lippen, Haarflick und kehlig-melodischem Lachen bei gleichzeitig 12 cm Absatz. Ich mag und kann das nicht so, da bin ich nicht so der Typ für, und bei dem Augsburger Kopfsteinpflaster geht das eh nicht so gut. Deswegen neige ich zum Flörten, das ist die etwas unaffektiertere Light-Version, oftmals in Jeans und flachen Schuhen.
Mit einigen Typen klappt flörten ganz fantastisch, die finden das auch ganz charmant; andere wiederum verstehen nicht, dass sich dahinter wirklich amouröse Absichten verbergen; und dann gibt es auch Momente, in denen mein komplettes Flört-Potenzial gänzlich versagt. Deswegen kann ich auch Tinder. Aber dazu erst am Schluss. Jetzt gibt’s erst einmal drei Geschichten, die sich natürlich höchst exakt absolut genau so zugetragen haben.
Vom Wahnsinns-Wimpern-Mann,
den ich beim Warten kennenlernte
Da war einer, wir sahen uns im Wartebereich am Rathausplatz und hatten einen irren Augenflirt. Irre wegen der Intensität und weil er Wimpern hatte, dass „Schmetterlingsflügelwimpern“ als naturalistische Bezeichnung durchaus angebracht ist.
Es war der Klassiker „Einer guckt hin und schnell wieder weg, dann guckt der andere, ab und an kreuzen sich die Blicke“, und diese Kreuzungen werden von Mal zu Mal immer länger. Wir lächelten, er von Anfang an unverhohlen, offensichtlich gefiel ich ihm. Peinlich war ihm die Situation überhaupt nicht, er hatte das Flirten (das mit i!) wirklich drauf. So ein selbstbewusstes Verhalten bei gleichzeitig so viel Charme und den schönsten Wimpern überhaupt – wer hätte da nicht angebissen? Also flirtete ich (manchmal mach ich’s auch mit i) fleißig zurück.
Leider, leider, stand da eine Frau an seiner Seite, die offensichtlich zu ihm gehörte. Manchmal hielten sie Händchen, sie streichelte seine. Wir stiegen dann sogar in dieselbe Tram, ich erwischte einen Fensterplatz. Seine Tusse setzte sich neben mich. Als würde das nicht reichen, setzte er sich auf ihren Schoß. Sie schmusten ausgiebig, er starrte mich dabei weiterhin an. Bevor Ihr jetzt meint, dass es komplett pervers wird und er ein doofer, multiamouröser Arsch war: Er war so ungefähr zwei Jahre alt. (Und die Tusse war natürlich die wunderbare Mama, aber das gleich beim Namen zu nennen hätte dem Spannungsbogen Abbruch getan. Ich entschuldige mich in aller Form, liebe Wimpernflügeljungenmama, es war stilistisch nicht anders zu lösen.)
Es gibt da aber noch weitere Auxburger Tram-Liebes-Nichtgeschichten, die mich dazu bewogen haben, zusätzlich auch online ein bisschen nach Männern zu gucken. Immerhin ist man da vor notgeilen Zweijährigen sicher, weil die da offiziell nicht rein dürfen.
Vom Mann, der nicht merkt, dass ich flörten möchte
Es beginnt ganz unspektakulär: Ich sitze in der Tram. Sehe gedankenverloren aus dem Fenster. Auf einmal geht ein ganz spektakulärer Typ vorbei und läuft in Gefahr, vorbeizulaufen, ohne mich zu sehen, was unser gemeinsames weiteres Schicksal übelst vereitelt. (Oder er steht draußen, wartet, macht aber den Fehler, dabei in sein olles Smartphone zu starren. Aber naja, vielleicht tindert er ja.) An mir ist es nun, alle Hebel oder zumindest einen ganz Bestimmten in Bewegung zu setzen.
Ich male mir schon aus, wie ich diese unfassbar romantische Beziehungsanfangsgeschichte unseren Enkeln erzählen werde:
„Die Oma hat den Opa draußen vor der Tram sehen. Sie hat gleich gewusst, dass er der Opa ist, dass sie einfach ohne zu Zögern die Notbremse gezogen hat! Und dann ist die Oma herausgelaufen und hat …“
An dieser Stelle fällt mir leider nicht ein, wie die Geschichte weitergeht. Zudem kann ich mich nicht entscheiden, wie die Enkel am besten heißen sollen. Da es aber eh zu keinen Enkeln mehr kommen wird, weil es nicht mal zu Kindern kommen wird, zumindest nicht mit diesem Mann, weil er mittlerweile aus dem Sichtfeld verschwunden ist, hat sich die Sache ohnehin erledigt. Bei Jungsnamen finde ich 99 Prozent alle mit einem „J“ vorne dran besonders schön. Bei Mädchen weiß ich es nicht so genau. Ich starre wieder gedankenverloren aus dem Fenster und habe genügend Zeit, mir schöne Namen zu überlegen.
Vom Mann, der niemals hätte bemerken können, dass ich mit ihm nicht flirten konnte
An einem Abend, ich war schon einigermaßen fertig, da stieg ein Typ ein, der sah noch fertiger aus. Womit er gleich meine Sympathie hatte und meine Aufmerksamkeit erregte. Er hatte die Aura eines französischen Musikers oder Philosophen, ja, eigentlich sogar von beidem. Ich musste kurz nach Luft japsen, also, nur so innerlich, weil mich die Allerschönsten – die nicht die Schönsten sein müssen, nur schön müssen sie sein – schockgefrieren lassen. Dann funktioniert kurz- oder längerfristig gar nichts mehr. Weder Herzschlag noch Atmung. Die Sprache schon gar nicht. Außerdem muss ich nicht die ganze Tram mit meinem Flörtversuch bespaßen. In solchen Momenten meint man ja, alle Welt und der Limbus sieht zu. Dabei sind die meisten meistens mit ihren Gedanken beschäftigt sind, zumindest aber mit ihrem iPhone.
Da setzte er sich schon. Genau vor mich hin. Ich atmete erleichtert auf, weil ich das als den besten Grund überhaupt erachtete, nichts machen zu müssen – denn was hätte ich schon tun können, außer den wild gelockten Hinterkopf anzustarren? Geht Augenkontakt auch von hinten? Ich versuchte es. Ihm hätten davon die Haare alle einzeln ausfallen müssen. Taten sie aber zum Glück nicht. Am liebsten hätte ich gewuschelt, aber mir ist klar, dass das in keinem Kulturkreis so gern gesehen ist, vermutlich auch nicht bei den Franzosen. Es kann ja auch gut sein, dass er nur ein für Augsburger Verhältnisse überaus exotischer Oberbayer war, so einer im Exil, wie ich. Also starrte ich stumm und erfreute mich unserer Gemeinsamkeiten, bis sich der Idiot ernsthaft dazu entschied, seine Kopfhörer aufzusetzen. Wenigstens stand ich so nicht mehr in der Pflicht, ihn ansprechen zu müssen. Zu allem Überfluss schlief er dann auch noch ein. Ich starrte ihn nun böse an, weil er tatsächlich mit aller Gewalt vereiteln musste, dass wir uns jemals kennenlernen. Die Locken dätschten sich gegens Fenster, der Kragen war ein bisschen schief – ich hätte ihn richten können, aber ich war noch sauer auf ihn – und gute Musik drang leise bis zu mir. Es war bestimmt Radiohead und es war ganz garantiert November und es regnete auch gewiss. Flirt-Pros hätten ihn angestubbst und gesagt: „Hey, deine Musik ist zu laut!“ oder, die noch Fortgeschritteneren: „Bist du deppert, wer hört heute noch OK Computer? – – – ICH AUCH!!“ Aber sowas fällt mir wegen Schockfrost nicht ein, also ließ ich Thom jammern. Immerhin passte der Soundtrack.
Ich hätte die wildesten Ideen spinnen können, wie ich ihn erfolgreich anspreche. Das ging aber nicht, weil mich die Locken so ablenkten und freundlich zunickten, als wäre ihnen viel daran gelegen, mich wieder zu beruhigen. Vielleicht wollten sie mir auch etwas sagen. Vier Tage später kam ich auf die geniale Idee, dass ich einfach hätte früher aussteigen können: Auf diesem Teil der Strecke gibt es richtig fiese Kurven, bei denen sich so mancher Tramfahrer abartig reinlegt. Wann, wenn nicht dann, hätte ich ihm absolut berechtigt und höchst unauf- und zufällig auf den Schoß fallen können? „Oooh, ich wollte gerade aussteigen …“ Und es wäre nur halb gelogen gewesen. Dann hätten wir zusammen Radiohead gehört und uns darüber unterhalten, warum Oberbayrisch so viel schöner klingt und uns die anwesenden Schwaben zu Feinden gemacht. Zum Glück war mir vier Tage und zwei Minuten später klar, wie bescheuert das alles gewesen wäre und war dankbar, dass mein Schockfrost wohl den Sinn verfolgt, mir größere Blamagen zu ersparen. Wobei: Vielleicht wäre das alles supercool gewesen. Vielleicht würden wir just in dieser Sekunde zu Radiohead an unseren zukünftigen Enkeln arbeiten. Der Junge was mit J, wir erinnern uns.
Wie dieses Chanson zu Ende ging? Ihr ahnt es wohl schon: Er schnarchte, vielleicht auch nicht, ich rede mir lieber ein, dass er es tat. Ich starrte und stieg schließlich mit wuschelkribbeligen Fingern an meiner Station aus. Dreimal Schütteln hilft, dass das aufhört. Ich drehte mich noch einmal um, um in das schöne Gesicht sehen zu können und mich zu vergewissern, dass mein inneres Drama der vergangenen zweieinhalb Minuten absolut gerechtfertigt war. Leider hingen die Locken drüber. Auf einer nicht näher definierten Ebene wusste ich aber, dass es das wert war. Mir kam eine glorreiche Idee: Könnte es vielleicht sein, dass dieser Typ auf Tinder ist? Also zog ich mein Handy aus der Tasche, der Regen hatte ja nun aufgehört. Und ich begann, zu wischen.
Fazit: Wir nähern uns dem Märchen von Tinderella!
Die Franzosen-Story endet hier. Vorerst. Man sieht sich ja immer zweimal im Leben, mon amour. Aber die Tinderella-Story hat noch nicht mal angefangen!
Wie das mit Tinder so geht, welchen Typen ich da so begegnet bin – ich kann sie zum Glück auf so ungefähr 12 Kategorien herunterbrechen, damit es übersichtlich bleibt – erfahrt Ihr im nächsten Teil meiner Singlereise. Soviel kann ich schon verraten: Tinder macht die Daumen auch wuschelkribbelig, pardon, wischkribbelig. Vielleicht sogar irgendwann beides?