Seit fünf Jahren treibt sie sich herum und einen Keil zwischen uns Menschen: die gesellschaftliche Spaltung. Woran das zu sehen ist? Vor allem im öffentlichen Diskurs – sofern man das Getöse in den Medien überhaupt noch als solchen bezeichnen kann. Im Privaten ist es da schon deutlich stiller: Sei es, weil man dort bereits komplett „von Seinesgleichen“ umgeben ist, oder weil man sich eben so gut leiden kann, dass eine Meinungsverschiedenheit weit weniger schwer wiegt. Könnte das schon der Trick sein, wie wir die gesellschaftliche Spaltung überwinden könnten?
Gesellschaftliche Spaltung überwinden
#TLDR Kurzfassung für Lesefaule
Die gesellschaftliche Spaltung ist seit Corona spürbar da und konjugiert sich seitdem durch unterschiedlichste Bereiche (v. a. Politik, Weltgeschehen).
Liegt es daran, weil wir alle während Pandemie mehr oder weniger (re) traumatisiert wurden? Zusätzlich steckt in den meisten Menschen ein generationsübergreifendes Trauma, das meistens unerkannt und deswegen nicht aufgearbeitet ist.
Wer traumatisiert ist, wird leicht getriggert. Das macht vernünftige Diskussionen unmöglich, weil Emotionen schnell hochkochen und gar nicht mehr auf der sachlichen Ebene diskutiert werden kann.
Daher ist Trauma-Bewusstsein dringend nötig: Wir müssen ein Bewusstsein dafür haben, dass es Traumatisierung überall geben kann, im Großen wie im Kleinen – generell, generationenübergreifend und bei uns selbst. Nur dann können wir es entsprechend heilen und in konstruktive Bahnen lenken. Dazu können schon kleine, freundliche Gesten und gute Gespräche dienen. Eben mehr MENSCHlichkeit!
Es gibt ein paar einfache Tricks, wie wir wieder vernünftig miteinander reden können.
Ein paar hilfreiche, einfache Methoden findest Du im Artikel! ッ
Wir müssen ganz, ganz dringend wieder lernen: Mensch ≠ Meinung.
Wenn wir uns ständig nur mit „Unseresgleichen“ umgeben, verlernen wir vernünftigen Diskurs und ein gesundes Miteinander. Sich ständig in einer homogenen Masse aufzuhalten mag die bequemere Lösung sein, aber das spaltet letztlich noch mehr.
Es ist dringend Zeit, den MENSCH in uns anzuerkennen – und im anderen. Dass wir den anderen einfach da sein lassen können. Niemand ist perfekt! Man ist sich mal nicht einig? Gut, dann ist man sich eben einig, dass man sich nicht einig ist.
Wie war Spaltung in diesem Ausmaß überhaupt erst möglich?
Fangen wir zu Beginn bei der Basis – bei den Begriffen. Eine Gesellschaft besteht aus vielen Menschen. Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache definiert es so:
größere Gruppe von Menschen, die (organisiert) unter bestimmten politischen, ökonomischen, sozialen und sonstigen Verhältnissen innerhalb eines räumlich begrenzten Gebiets zusammenleben
Soweit, so verständlich. Und auch, dass Spaltung das Gegenteil von Verbindung und Verbundenheit ist.
Dass es mal knatschen kann, wenn mehrere Menschen aufeinander treffen, kennst Du bestimmt auch: Stell Dir nur mal das Weihnachtsfest vor, das schon bald wieder ansteht ッ
Es reicht ja schon, wenn man mit mal dem Partner unterschiedlicher Meinung ist, was man am Abend essen will oder was auf Netflix laufen soll: Jeder Mensch hat seine ganz eigenen Bedürfnisse und Wahrnehmungen.
Klopfen wir uns also alle mal auf die Schulter, dass wir es überhaupt einigermaßen friedlich miteinander hinbekommen!
Haben wir Frieden etwa noch nie beherrscht?
Friedliche Koexistenz ist möglich – das haben wir alle lang genug erlebt. Oder?
Natürlich gab es immer schon Kabbeleien, aber wir haben uns doch meistens wieder zusammengerauft. Früher™, also a. C. (ante Coronam), da stritt man maximal darüber, welcher Fußballverein nun der bessere ist, ob Pepsi oder Cola oder Hund oder Katze. Es ging mitunter laut zu in diesen Gesprächen! Danach hat man aber immer mit seinem Bierchen angestoßen und gelacht, oder ein Pepsi- und ein Cola-Glas klirrten freundlich aneinander.

Wenn heute™ „diskutiert“ wird, dann ist der Ton meistens ein deutlich anderer: härter, kälter, persönlicher, bissicher, stichelnder, verletzender. Was ist da nur passiert?
Mir persönlich erscheint es so, als hätte Corona die Funktion eines Brennglas’: Die Zeit verstärkte unmissverständlich, was schon immer perfekt zueinander passte – oder eben nicht. Diese Klarheit hatte irgendwo auch ihr Gutes. Problem ist nur: Das Brennglas wurde nie entfernt, und mittlerweile brennt es darunter lichterloh …
Hast Du in den letzten Jahren mal einen Satz ins Gesicht geschleudert bekommen wie „Mit Menschen wie dir rede ich gar nicht erst?“ Oder ein: „Ach, so einer bist du!“ – Wie hat sich das angefühlt? Hast Du Dich da noch als MENSCH wahrgenommen gefühlt?
Von MENSCHEN und Menschen
Um nachfolgend besser differenzieren zu können, verwende ich ab und an die Schreibweise MENSCH. Nicht, weil ich Dich hier anbrüllen möchte, sondern weil ich die komplette Wertigkeit und Wahrhaftigkeit des Menschen ausdrücken will: Der MENSCH als bewusstes, liebevolles, ganzheitliches Wesen. Keineswegs perfekt, erschütternd oft ausreichend bekloppt und unberechenbar genug – aber in Summe ein absolut liebevolles Wesen.
„Ich und die Anderen“
Kommst Du Dir manchmal so vor, als würdest Du ganz alleine dastehen? Als müsstest Du Dich gegenüber den anderen behaupten, oder vielleicht sogar gegen sie kämpfen?
🔮 Spiri-Sidekick: Diese martialischen Begriffe zu verwenden, gefällt mir überhaupt nicht. Leider verdeutlichen sie aber perfekt, wo wir derzeit kollektiv stehen. Der Krieg, die Kriege im Außen können analog der eigenen Innenwelt gedeutet werden – „wie innen, so außen“. Wo bist Du mit Dir selbst noch nicht im Frieden?
In Matt Ruffs Roman „Ich und die Anderen“ stecken „die Anderen“ sogar im selben Körper! Klingt erst mal komisch, ist aber möglich, weil in dem Roman eine multiple Persönlichkeit die Hautprolle spielt.
Dass bei dieser psychischen Störung in „Ich“ und „Andere“ differenziert wird, passiert, weil vorher eine innere Abspaltung stattgefunden hat: Der Mensch als Ganzes fragmentiert sich und teilt sich in viele kleine Einzelteile auf.
Aber warum macht die menschliche Psyche so etwas Heftiges?
– kleiner Buch-Spoiler, aber wohl wenig überraschend –
Die Psyche antwortet mit dieser Reaktion auf ein heftiges Trauma: Die Psyche meint, sie schütze den zugehörigen Menschen, wenn sie sich in viele einzelnen Teile aufspaltet. Der eine Teil, der verletzte, kann nun einfach weggesperrt und geradezu ausradiert werden, während andere Teile die Führung übernehmen: Sie navigieren ab sofort scheinbar sicher durch den Alltag. Oft gibt es dann Persönlichkeitsanteile, die ie Beschützer-Rollen wie Vater oder Mutter übernehmen. Diese Rollen treten dann eigenständig auf und herrschen alleine über den Körper. Das äußert sich in einer unterschiedlichen Art zu sprechen und sich zu bewegen . Sogar die Sehstärke bis Augenfarbe (!) kann sich mit den unterschiedlichen Rollen ändern. (Zur offizielle Definition laut ICD-Katalog)
Spaltung als Trauma-Reaktion
Viele Menschen meinen, dass als Trauma-Ursache nur offensichtliche Schock-Momente gelten: Etwas in der Größenordnung wie eine richtige Katastrophe, ein Erdbeben oder einen Unfall.
Es gibt aber auch „kleine Traumata“ (Entwicklungstraumata): Wenn Kinder in der Schule gehänselt oder gemobbt werden; wenn der Vater permanent stichelt; wenn sich jemand unsicher fühlt. Das mag für sich allein genommen als im Vergleich zu einem Erdbeben als „nichts“ erscheinen – aber wenn so etwas ständig passiert über einen langen Zeitraum, kann es die gleichen Folgen haben!
Das Nervensystem dreht dann am Rad. Der Mensch kommt nicht mehr zur Ruhe, weil sein Parasympathikus – der Teil des autonomen Nervensystems, der für Ruhe und Entspannung sorgt – gar nichts mehr zu melden hat. Ein solcher Mensch lebt in ständiger Anspannung. In schwierigen Situationen reagiert er nicht als er selbst, sondern mit seinen erlernten Schutzmechanismen. Dazu gleich mehr.
Kleine Traumata bleiben ungesehen
Oft werden kleine Traumata gar nicht erst erkannt. Der Betroffene selbst stempelt die Ursachen als „Das war doch nichts“ ab. Hier im Westen werden wir gemeinhin so konditioniert, dass wir immer stark sein müssen, um brav zu funktionieren, funktionieren, funktionieren!
Deswegen werden kleine Traumata gerne als „Das ist doch total normal“ abgetan. Ufffffffpasse! Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der Traumatisierung zum Normalzustand erklärt wird?
Oft will man auch nichts Böses in Richtung der eigenen Eltern sagen, weil man sie liebt. Aber mit „böse“, „Vowurf“ oder gar „Schuld“ hat das ja auch gar nichts zu tun: Denn oft haben die Eltern das Trauma ja gar nicht bewusst ausgelöst. Sie waren selbst gerade einfach nur müde oder eine Sekunde unachtsam. Und nicht vergessen: Ein Trauma kann ja bereits auch in den Eltern stecken, und sie geben es unbewusst weiter – sogar genetisch, dazu später mehr.

Wie sich Trauma äußern kann
Traumatisierte Menschen fallen in neuen Stress-Situationen schnell und unbemerkt zurück in ihre gewohnten Verhaltensmuster. Die neue Situation muss gar nicht 1:1 wie die alte sein, die ursprünglich so traumatisiert hat – da reicht schon die leichteste Ähnlichkeit.
Es gibt nun vier Schutzreaktionen 1.) Flight- oder 2.) Freeze-Modus – diese Menschen flüchten aus der Situation oder gefrieren förmlich zu Stein. Sie verhalten sich passiv. Immerhin hat ihnen das ursprünglich mal das Überleben gesichert. Diese Muster sind in ihrer Energieform eher introvertiert. Denn auch, wer wegrennt: Er verlässt den (scheinbaren) Aggressor, anstatt sich ihm zuzuwenden.
Und dann gibt es noch die extravertierten Versionen, in denen die Betroffenen auf den Aggressor aktiv zugehen: zum Beispiel auffällig aggressiv in Worten oder Taten. Diese Menschen fallen in den 3.) Kampfmodus.
Subtiler und schwieriger zu erkennen ist das 4.) People Pleasing (Scharwenzeln): Diese Menschen begegnen dem anderen mit übertrieben viel Freundlichkeit, Zugewandheit und Harmoniebedürfnis, um sich dadurch die Gunst zu sichern. Nicht aus Schleimscheißerei – sondern aus Angst!
Warum komme ich aber überhaupt mit dem Trauma-Thema an?
Es ist wegen meiner leisen Vermutung:
Erst eine kollektive Traumatisierung konnte zur gesellschaftlichen Spaltung führen.
Deswegen brauchen wir heute eine Wagenladung Trauma-Bewusstsein! Denn wenn wir nicht erkennen, was das Problem ist, wie sollen wir es dann effektiv lösen?
Ist die komplette Gesellschaft traumatisiert?
Wenn ich an die Corona-Jahre zurückdenke, kommt mir viel wie ein kleines Trauma vor: Wir waren über mehrere Jahre permanent verunsichert; wir hatten Angst; wir waren isoliert oder auf viel zu engem Raum 24/7 mit unseren Liebsten zusammengepfercht, was den Stress nicht unbedingt weniger gemacht hat.
Unser Nervenkorsett war also jahrelang permanent unter allerhöchster Anspannung!
Wenn schlau war, hat damals mit Sport gekontert: Denn Bewegung schüttelt die Anspannung aus dem Körper und die Nerven und Emotionen können wieder herunterfahren. Deswegen zittern auch Tiere so, wenn sie einen Schreckmoment hatten. Vielleicht hatten deswegen auch Hula Hoops ihr Comeback während Corona?
Und mit Corona hat es ja nicht aufgehört: Wir hatten vielleicht eine Woche zum Verschnaufen, dann hieß in den Nachrichten noch „Affenpocken!“ und in der Woche darauf: Ukraine-Krieg. Und als würde das nicht reichen, kamen noch Israel und Palästina dazu. Unzählige andere Kriege gar nicht erst mitgezählt!
Weltweit plagen uns wirtschaftliche Sorgen. Und soziale: Freundschaften sind zerbrochen, wenn nicht gleich die ganze Familie. Neue gesundheitliche Probleme sind da wie Long Covid oder Post Vac. Die politische Landschaft erbebt von einem Grummeln und Rumoren, dass Mordor dagegen wie eine sanfte Frühlingswiese wirken könnte.
Wer ist bei all der Scheiße
bitte nicht traumatisiert?
An der Stelle will ich Dir natürlich nicht einreden, dass Du traumatisiert bist, dass Du es sein musst. Du musst gar nichts! Die Chance, dass Du nicht in der einen oder anderen Form oder Intensität traumatisiert bist, ist aber relativ gering, wenn Du in den letzten 100 Jahren geboren bist. Denn da ist ja noch mehr …
Trauma hört nicht mit uns auf
Es ist längst erforscht, dass unsere Ahnen bis zu sieben Generationen vor uns in unserer DNS stecken (mehr zu transgenerationalen Weitergabe auf Wikipedia). Das wirkt sich natürlich auf uns aus:
Manches, wie die Haar- oder Augenfarbe oder die lustig-sympathische Nasenform, ist auf den ersten Blick offensichtlich. Aber auch was unsere Großeltern psychisch-emotional erlebt haben, steht in unseren Genen. Du kannst dir die DNS einfach mal wie eine gewaltige Festplatte oder eine riesige Bibliothek vorstellen: Alles voller Informationen!
Beispiel: Dass ich drei Shampoos gleichzeitig offen habe, führte ich lange Zeit darauf zurück, wie ich es halt früher daheim erlebt habe: Da sah es im Badezimmer auch immer nach einer 20er-Mädels-WG aus. „Das hat ich von meiner Mutter übernommen“, dachte ich mir also. Erst spät habe ich erfahren, dass schon mein Großvater genau so getickt hat: Er hatte immer drei Sorten Zigaretten offen. Auch er kam mit dem Argument an, dass er Abwechslung haben will! ♡
Wenn es schon solche Banalitäten sind, die wir von unseren Vorfahren übernehmen, wie sieht es dann erst mit den richtig großen Sachen aus? Etwa damit, dass mein Opa im Krieg in Frankreich war? Oder dass meine Oma als halbe Jüdin ständig in der Angst leben musste, dass das herauskommt?
Und das ist nur die Großelterngeneration! Ganze sieben Generationen reichen die in unserem Körper abgespeicherten Informationen zurück …
Das Trauma steckt uns nicht nur in den Knochen – es steckt in unserer DNS.
Das ist jetzt aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken! Denn natürlich kannst du selbst etwas tun. Das Stichwort lautet „Schattenarbeit“. Darum kann es heute nicht vollumfänglich gehen, sonst explodiert dieser Text. Nur so viel: In irgendeiner Form müssen wir uns unseren Schatten stellen. Für einige funktioniert klassische Psychotherapie, andere packen es lieber auf der körperlichen Ebene an und machen lieber Breathwork oder neurogenes Zittern TRE (Tension and Trauma Releasing Exercises). Als ultimativer Kopfmensch finde ich persönlich solche körperlichen Übungen übrigens am frappierend effektivsten …

Vom #mimimi zum Miteinander
Wenn man sich zum ersten Mal bewusst macht, wie wir als Individuen, als Familien, Generationen und auch Gesellschaft komplett durchtraumatisiert sind und das schon seit Jahrhunderten, könnte man erst einmal wochenlang weinen. Das tut ja auch mal gut! Diesen kollektiven Schmerz und unsere Verbindung anzuerkennen, weckt ein riesengroßes Mitgefühl und eine gesunde Demut. Nur bitte bleib nicht in dem Weltschmerz stecken, denn der hilft absolut niemandem.
Und zum Glück können wir das Ganze auch konstruktiv angehen: Ja, Scheiße ist passiert. Das lässt sich nicht wegreden. Aber wir können ja durchaus etwas machen!
- Wir müssen wieder lernen, vernünftig miteinander zu reden.
- Wir müssen wieder richtige Nähe zulassen, ohne jegliche Masken und ohne jedes „Buhu, deine Meinung passt mir nicht!“
- Wir müssen wieder wahres MENSCH-Sein leben!

Aufhören mit der Verurteilung
Es gibt niemals einen vernünftigen Grund, jemanden anderen zu verurteilen: Steckst du in seiner Haut? Kennst du seine Geschichte?
Ich wage die These: Kein Mensch auf dieser Welt, nicht einmal die, die global-kollektiv als die furchtbarsten Bösewichte bezeichnet werden wie ein Putin, Trump, Musk, Gates oder einer aus den deutschen Reihen, steht morgens auf und denkt sich: „Ooooh, heute will ich es aber mal richtig verkacken und Scheiße bauen!“ Jeder hat auf seine Weise gute Absichten. Die versteht womöglich keiner, aber deswegen sind auch die scheinbaren Unmenschen am Ende immer noch Menschen.
Wer gibt uns schon das Recht, andere zu verurteilen?
Ein MENSCH erhebt sich nicht über andere Menschen
Unsere Menschlichkeit geht uns dann verloren, wenn wir Mitmenschen nicht mehr als solche wahrnehmen. Wenn wir uns über andere erheben. Dass dann sogar Schweine zu Schweinen werden, zeigt Orwells „Animal Farm“.
Es mag hie und da natürlich Situationen geben, die per se erfordern, dass jemand als Rudelführer die Truppe anführt: Eine Chefin muss mal ein Machtwort sprechen. Oder ein Papa. Wenn sonst nix vorangeht, darf man auch mal mit der Hand auf den Tisch hauen.
Es ist jedoch ein Unterschied, aus welcher Intention es geschieht: Gebe ich den Ton an, weil es jetzt einfach der Sache dient, weil es einem größeren Kontext dienlich ist? Oder mache ich nur für mich selbst, um mir einen Vorteil zu verschaffen?

Miteinander richtig reden
Ja, reeeeeeeeeeeeden können wir Menschen! Das haben wir in den letzten Jahren ja gesehen: Da wird geplappert ohne Ende, geflucht, gestritten und diskutiert. Worte können wir Menschen prima.
Aber wie tief gehen unsere Aussagen? Denn auch wenn vieles unter die Gürtellinie geht, diskutieren wir doch auf einem überaus oberflächlichen Niveau: Wir teilen meistens nur Meinungen, Gedanken, Geschmäcker – aber doch häufig seltener, wie es und wirklich geht, was wir dabei fühlen, warum wir gerade so aufgebracht sind. Auf diese Weise bleiben die Gespräche hohl. Wir tauschen uns viellicht aus, aber wir teilen uns nicht wirklich mit.
Was für ein richtig gutes Gespräch helten kann
1/ Sei beim Anderen
Versuche, dein Gegenüber wirklich als MENSCH wahrzunehmen. Anstatt Dir, während der andere redet, schon Deine Antworten zu überlegen, guck den anderen aufgeschlossen und aufmerksam an, während Du ihm zuhörst: Was tut sich in seinem Gesicht? Welche Augenfarbe hat er überhaupt?
Tipp: Konzentrier Dich mal auf das linke Auge Deines Gegenübers – auf diese Weise sollst Du Dich besser mit ihm verbinden können.
2/ Bleib bei Dir
Auch das ist nötig! Denn wenn Du Dich jetzt nur noch auf den anderen konzentrierst, verlierst Du den Zugang zu Dir selbst.

Wie Du nun gleichzeitig bei Dir bleiben kannst? Das geht vor allem über eine bewusste, teife Atmung (in den Bauch, gerne ein bisschen länger aus- als einatmen, dann aktivierst Du gleich noch deinen Ruhenerv) und indem Du auf Deinen Körper achtest. Sieh zu, dass Du Deine Verbindung zum Boden spürst – sei es über Deine Fußsohlen auf dem Boden oder Deinen Popo auf der Sitzfläche. Auf diese Weise bist Du gut geerdet. Das hilft, dass Du insgesamt ruhiger bist.
Bleib auch bei Dir in Deinen Formulierungen: Von Ich-Botschaften hast Du sicher schonmal gehört, sonst google die jetzt mal …
3/ In Ruhe agieren anstatt ad hoc reagieren
Werde nicht zum reaktionsfreudigen Mobile, das sofort hektisch wackelt, nur weil ein Lufthauch es tangiert. Wenn Du spürst, dass du aufgeregt bist und sofort antworten willst – atme erst einmal durch. Versuche zu durchschauen, welcher Teil in Dir reagiert: Ist es „nur“ das Ego? Versuche, ihm zuvorzukommen. Mach Dir klar: Die Situation hier ist nicht lebensbedrohlich. Du bist ein erwachsener Mensch und kannst das jetzt auch wie ein Erwachsener klären!
Hat Dein Gegenüber eine Grenze überschritten, einen Deiner Werte mit Füßen getreten oder Dich ungerechtfertigt angegriffen? Dann sprich das aus, in genau dieser Klarheit. Wenn Du es nicht persönlich nimmst, sondern für Dich selbst aus Deiner Erwachsenenperspektive sprichst, dann bekommt Deine Aussage auch gleich einen komplett anderen Ausdruck und somit auch Einfluss auf den Anderen.
4/ Mach es wie die Philosophen
Wenn Du gut reden willst, orientiere Dich an denen, die es wie die Meister beherrschen – die Philosophen! Bevor Du etwas sagst, halte kurz inne: Ist das, was ich sagen will, überhaupt wahr? Kann ich es genau wissen? Macht es einen Unterschied, wenn ich das jetzt gleich ausspreche? Hilft es der Situation weiter? Verbindet es mich mit dem anderen? Je öfter Du Dir ehrlich mit „Nein“ antworten muss, geh schnell weiter zum nächsten Punkt!
5/ Sag einfach mal: nichts
Wie wäre es mal mit einem gepflegten„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“? Ich verspreche Dir jetzt schon: Es wird Dich überraschen, was dann passiert!
Womöglich wird Dir das die Größe geben, nach der Du Dich sonst immer sehnst, wenn Du Dich um Kopf und Kragen redest …
Vielleicht hast Du hier schon zwischen den Zeilen herauslösen können, was mein eigenes kleines Trauma ist: Ich persönlich neige dazu, viel zu viel zu schlucken und zurückzuhalten. Stichwort People Pleasing. 🙈 Von daher kostet mich auch dieser Text einiges an Überwindung. Dies ist mein persönlicher erster eigener Schritt, die Spaltung – die im Außen und die in mir – zu überwinden!

Übers Reden hinausgehen
Keine Sorge, Du musst jetzt nicht immer reden-reden-reden. Manchmal hat man einfach auch keine Kraft oder simpel keinen Bock darauf. Es ist absolut legitim und auch wirklich wichtig, auf seine eigene Tagesform zu hören. Aber zur Gewohnheit sollte man es nicht werden lassen, Konfrontationen aus Prinzip aus dem Weg zu gehen.
Zum Glück haben wir Menschen noch weit mehr Möglichkeiten, wie wir freundlich miteinander umgehen können: Da sind noch die Taten, große und kleine: Sei einfach nett zu anderen, indem Du dem nachfolgenden Menschen die Tür aufhältst. Schau allen Leuten in die Augen, wenn Du sie grüßt. Wenn jemandem etwas runterfällt, heb es auf. Mach anderen Platz, und schau Dich um, bevor Du Deine Gehrichtung änderst. Achte einfach auf Deine Mitmenschen!
Andere müssen noch gar nicht mal anwesend sein, damit Du ihnen Gutes tun kannst: Heb doch einfach mal den Müll auf, der da herumliegt. Auch, wenn er gar nicht von Dir stammt. Ich habe neulich voneinem ein fremdes Parkett noch fremdere Flecken gewischt, weil ich weiß, wie einen Wasserflecken ärgern können.
Sei Du der Erste, der etwas zum Positiven ändert: Reg Dich nicht darüber auf, welcher Vollidiot von den Kollegen eine Schimmelpilzkultur im Kühlschrank züchtet, sondern nimm den Scheiß Joghurtbecher und schmeiß ihn weg. Ding dong – Fall gelöst!
Sei einfach ein guter MENSCH – und versuche, genau DEN in jedem anderen auch zu erkennen.
Ein Level höher geshiftet
Kannst du mit Spiritualität etwas anfangen? Dann kennst du vielleicht den Gruß „Namaste“.
Wenn Du Dich immer schon gefragt hast, was das eigentlich bedeutet: „Das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in Dir“ … ッ

Mit das Wichtigste zum Schluss
Was uns die längste Zeit trennt, ist der Irrglaube, dass ein Mensch seine Meinung ist. In den letzten Jahren hat sich das leider immer mehr und mehr als mentale Massenware etabliert.
Was für ein Unfug!
Stell Dir mal vor, ein Mensch tritt aus einem Haus, über dessen Eingangstür ein Schild mit dem Namen einer Partei hängt, von der Du Dir denkst: „Herrjeeeeee!“ …
Wenn dieser Mensch nun auf dem Gehweg vor dir ausrutscht und laut „Aua, aua!“ brüllt: Gehst Du dann vorbei, ohne zu helfen?
Hast Du das eben leise oder gar laut bejaht? Dann ist nicht die verdammte Partei das Problem, sondern Du.
Menschlichkeit kennt keine Parteien, keine Labels, keine Meinungen.
MENSCHEN werden immer unterschiedliche Meinungen haben, weil wir nunmal unterschiedlich sind. Jeder hat seine eigene Geschichte und deswegen seine ganz eigene Wahrnehmung der Welt. Wenn wir uns an Meinungen aufhängen, vergessen wir unseren wahren Wesenskern. Den im Anderen – und auch den in uns selbst.

Kommen wir wieder zusammen?
Wenn wir voller Mitgefühl und Liebe, ja vielleicht sogar mit einem Schmunzeln anerkennen, wie traumatisiert und wie wunderbar wir trotzdem sind – können wir dann noch ernsthaft aufeinander böse sein?
Uns trennen und spalten (lassen) ist absolut unMENSCHlich. Denn der Mensch sind soziale Wesen. Wir brauchen einander, wir können nicht ohne ein gesundes Miteinander. Wenn wir als Menschen zur Spaltung beitragen, trennen wir nicht nur die Menschen untereinander – sondern auch die Menschlichkeit von uns selbst ab.
Schau einfach, dass Du ein MENSCH bist – und andere auch so behandelst.
Weiterlesen, Buchtipp & Links:
Eine traumatisierte Gesellschaft, Susanne Wolf (2025); empfohlen auch vom Schweizer Magazin Ze!tpunkt
Trauma & Gesellschaft, Multiple Persönlichkeit, VIELFALT e.V. (2025)
Wie traumatisierte Gesellschaften heilen können, Rousbeh Legatis (2023)
Artikel im österreichischen Standard: Interview mit Psychotherapeutin Erzsébet Fanni Tóth, Pia Kruckenhauser (2025)
Buchtipp: „Ich und die Anderen“, Matt Ruff
YouTube Trauma-Expertinnen: Verena König, Dami Charf
YouTube-Tipp: „Traumatisierte Gesellschaft = kalte Gesellschaft?“ von Dami Charf
Zu ihrem Video habe ich auch ein Graphic Recording erstellt, das den Inhalt graphisch übersichtlich darstellt:

Alle Bilder: © Miriam Lochner, auxkvisit.de