Ich habe mich geirrt. 24 Jahre lang bin ich dem Irrtum erlegen, dass ich alle Jeans liebe: Die erste Levis natürlich, die ganz besonders. Es folgten weitere Bootcut-Jeans und einige mit Schlag. Schamerfüllt denke ich an ein Modell zurück, bei der ein Bein komplett mit lila Blumenranken bestickt war. Ich mochte auch immer die ganz weiten Jeans, die nur am Po anliegen und dann sofort in weiches, schlunziges Geschlabber übergingen. Mit Röhren freundete ich mich nicht sofort an, dann aber dafür umso doller. Bis vor Kurzem war ich überzeugt: I love jeans! A-l-l-e. Gut, die mit Dieter-Bohlen-Waschung ausgenommen. Aber sonst? Total meins.
Und dann kam Highwaist.
High Waist – ein grässlicher Trend wird Normalität.
Als ich ungläubig zusah, wie der Hosenbund in Modemagazinen und langsam auch auf Augsburgs Straßen wieder hochrutschte, gab ich dem Trend drei Monate. Inzwischen hat die Highwaist meine heißgeliebte Low Cut erfolgreich verdrängt und räumt nur der „Regular Waist“ ein, einigermaßen gleichberechtigt in den Klamottenläden existieren zu dürfen. Superlow hat sie fast gekillt – das ist ganz gut, wenn man an die Poritzendesaster der anfänglichen 2000er zurückdenkt. Aber muss der Hosenbund deswegen jetzt ernsthaft wieder bis zum Nabel und höher gehen?
Meine Aversion stammt daher, dass ich mit einer niedrigen Bundhöhe modisch initialisiert worden bin. Als ich am Pubertieren war, saß bei uns allen der Bund auf Hüfte. Hosen, die höher gingen, waren was für Kinder – oder für Muddis. Unsere Mütter schlugen entsetzt die Hände überm Kopf zusammen. So wie ich jetzt.
Es gibt eine Trendforschung, die besagt, dass Enkel immer mehr mit ihren Großeltern gemein haben als mit ihren Eltern.
Ich fühle mich mit meiner Vorliebe für eher niedrig geschnittene Hosen nun verdammt allein. (Mit der für Schlaghosen und Bootcut übrigens auch.) Die Jungen greifen begeistert zu High Waist. Ältere wie meine Mutter freuen sich, weil höher geschnittene Hosen besser für die Nieren sind – hält halt wärmer. Sie alle könnten jetzt jederzeit in die Innenstadt gehen und im nullkommanichts ihre neue Lieblingsjeans kaufen. Und ich?
Die unzähligen Probleme beim Jeanskauf werden um eines erweitert.
Nun hätte ich auch ganz gerne eine neue Jeans. Die ehemalige Lieblings ist just unterm Po gerissen, als ich mich bequem auf die Couch setzen wollte: Ich schwang das rechte Bein hoch und platzierte den Fuß gemütlich unter der linkten Arschbacke – eine meiner Lieblingspositionen –, und der Jeansstoff machte „Krchhhzt“ und ich „Nooooo!“.
Tags darauf fand ich mich bei H&M wieder, weil das eine der wenigen Marken ist, deren Jeans von oben bis unten gut bei mir sitzen. Problem eins wäre also theoretisch gelöst. Problem zwei, die perfekte Waschung, lässt sich relativ schnell klären: Ich weiß genau, welche ich mag. Vielleicht zu genau: Gleichmäßig dezent verwaschene Waschungen in Vintageblaugraugrün sind heute verdammt selten. Eventuell schimmert mir bei H&M selbst 2017 etwas Vintageblaugraugrünes entgegen. Erleichtert greife ich zur Jeans. Die nächsten 21 Minuten verbringe ich whatsappend in der Schlange vor den Kabinen, denn wo ehemals 20 Umkleiden waren, sind heute nur noch fünf. Probieren muss aber sein. Nach 23 Minuten habe ich die engen Hosenbeine über meine gezogen und wundere mich, wie lange ich da so viel Stoff hochziehen kann. Ich stoße mit dem Reißverschluss an mein Kinn – verdammt, doch eine Highwaist erwischt!, blicke auf – und lache los.
High-Waist sieht einfach scheiße aus.
Highwaist steht mir einfach nicht. Zwar habe ich noch nicht ganz kapiert, welcher Buchstaben- bzw. Obstform meine Figur entspricht, aber es ist keine, die kompatibel mit einer hohen Taille wäre. Es sieht aus, als hätte die Hose meinen Oberkörper aufgefressen. Schön ist definitiv was anderes. Aber schön, es quetscht alles weg, was weg kann. Ist es das, was diese Hosen so beliebt macht? Aber stopp, wer hat hier schon irgendwo ein bisschen Fett …
Highwaist frisst Muffintop.
„Wenn es den Speck rausquetscht, ist die Hose zu klein!“ rieten Instyle, Glamour und Co. Früher© hielt ich mich an deren Tipps – solche Profis müssen doch Recht haben. Also gab ich mich geschlagen, schalt mich fett und probierte eine Nummer größer – die Hose rutschte mir den halben Hintern hinunter und schlabberte an den Oberschenkeln. Was also nun?
Die ernüchternde Sache ist: Ein menschlicher Körper ist in der Regel etwas tendenziell Weiches. Alles, was überhalb der Knochen kommt, ist letzten Endes dehn- und formbar und reagiert auf Druck mit Eindellungen und Ausdätschungen. Es ist ein konvex-konkaves Freudenfest. Unvermeidlich also die Tatsache, dass ein Bund, der sich auch noch gegen die Schwerkraft (!) an uns festhalten muss, ein bisschen ein Plopp! provoziert. Wenn das Plopp bis zum Knie hängt, könnte man sich eventuell Gedanken machen, ob ein anderes Kleidungsstück nicht doch vorteilhafter wäre. Ansonsten braucht man sich weder von den Proportionen als auch von der Konsistenz her mit Schaufensterpuppen vergleichen.
Ich habe Jahre gebraucht, das zu verstehen.
Nun zurück zu den dummen Highwaisthosen.
Highwaist frisst Magen auf.
Den ersten Tag in meiner neuen Highwaist-Jeans genoss ich, wie man eine neue Klamotte eben das erste Mal stolz ausführt. Das ging ungefähr vier Stunden lang gut. Ich saß in der Arbeit, der Bund drückte allmählich in den Bauch und auf alles, was sich ordnungsgemäß darin befindet. Nach vier Stunden beging ich den eklatanten Fehler und aß etwas zu Mittag. Meine Verdauung reagierte prompt. Nur hatte sie keinen Platz mehr und wurde von der Hose in ihre Schranken verwiesen. Gegen 15 Uhr schielte ich im Sekundentakt auf die Uhr, wann endlich Feierabend ist, damit ich heimrennen und in meine bequeme Schlabberhose schlüpfen konnte. Ich schälte mich aus der Jeans und machte „Aaaah!“, und der Bauch machte „Brbebebbbebbguaaaarrrrrrrr“. Seine Art, Danke zu sagen.
Ich verstehe echt nicht, wie andere Leute den hohen Hosenbund aushalten und halte sie so lange für gedärmlose Alien, bis sie mich aufklären, wie sie das machen.
Der nächste unpraktische Faktor ist, dass einem die Highwaist-Hose das Handy immer aus der Tasche schiebt. Damit die Treppen hochrennen kannste knicken. An diesem Punkt wirken einfach zu viele physikalische Kräfte auf einmal aufeinander. (Ich erinnere: Ich bin Auxburgerin. Alleine schon deswegen bevorzuge ich Klamotten, die nicht unpraktisch sein dürfen.)
Aber vergessen wir deswegen nicht das mit am Schrecklichsten, das Highwaistjeans machen.
Highwaist macht einen Kastenarsch.
Als ich das erste Mal eine Highwaist anzog, freute mich noch über die nette Silhouette: Oberkörper hatte ich zwar kaum einen mehr, aber dafür ordentlichen Hüfschwung taillenaufwärts. Denn, klar: Wo die Fläche nicht unterbrochen wird, hat sie mehr Raum, Kurven nachzuzeichnen. Dummerweise klappt das zumindest (und beobachtungsweise nicht ausschließlich) bei mir nur von vorne und der Seite.
Wer sich das erste mal in einer Highwaisthose von hinten sieht, erkennt plötzlich die Bedeutung des Wortes „Kastenhintern“. Da kann kein Hintern was dafür, das passiert in den taillenhohen Hosen ganz von selbst: Es ist einfach verdammt viel Stoff, der von der Pofalte bis zur Taille hochgeht. Diese Fläche ist rechteckig, matter Jeans-Stoff reflektiert und modelliert kaum, also sieht der Hintern nun nach Rechteck aus.
Anscheinend stört das auch andere. Ich bin mir recht sicher, dass der aktuelle Trend zu Riesenhintern den beknackten Highwaist-Hosen geschuldet ist: Gegen diese optische Verzerrung kann sich nur behaupten, wer seinen Po auf Medizinballgröße trainiert. Wenn sich der Po derart durchtrainiert vom Bein abhebt, ja geradezu abstößt, hat man auch gleich das andere Problem gelöst, dass man 2017 keine Pofalte mehr haben darf. Wer jetzt einen Termin beim Schönheitschirurgen ausmachen will – sagt einfach, Ihr habt eine „Bananenfalte“, dann geht das als ästhetischer Notfall durch und Ihr bekommt sofort einen Termin –, lässt sich am besten gleich noch Luft zwischen die Oberschenkel operieren. Dann habt Ihr auch gleich noch die supertrendy Tigh Gap. Muss man jetzt alles haben, wie die supertollen Highwaisthosen. Nicht.
High Waist ist High Waste.
Ich staune über all diese Trends, im realen Leben hier in Auxburg ebenso wie auf Instagram, erkenne im Rückspiegel in der Umkleidekabine, dass meine Figur fernab von diesem aktuellen Schönheitsideal ist – mein Geschmack zum Glück auch – und pelle meinen Handball-Bananen-Hintern aus der Bauchweh provozierenden Hose. Mit etwas Glück finde ich in dem Sale-Haufen die letzte Low Cut Skinny Jeans aus der Vor-vor-vorletzten-Saison. In vintageblaugraugrün. In meiner Größe! Jajajaja – träumen wird man ja noch dürfen! Denn auch, wenn Irren menschlich ist – das ist es noch viel mehr.
High Waist, High Waisted Jeans, High-Waist, Highwaist … Diese schrecklich vielen Schreibweisen. Ich habe versucht, jeder ein bisschen gerecht zu werden, wenn ich es den Hosen schon nicht werden kann.
Update 2020: Mittlerweile haben sich meine Augen und größtenteils auch mein Bauch an die hohen Hosen gewöhnt. Es tut mir fast schon leid, wie sehr ich in diesem Artikel über diese Schnittform lästere. Als historisches Mode-Dokument dürfen diese Zeilen aber stehenbleiben ; )