Wer viele Tinder-Dates hat, merkt schnell: Oft fehlt was. Das kann daran liegen, dass Tinder mehr den Ruf einer Fick- denn Flirt-App hat und tatsächlich sehr oberflächlich funktioniert. Aber wenn man sich mal wieder so richtig, richtig, rundum verlieben will: Was gehört da eigentlich alles dazu? Und was hat es mit Spielen in der Liebe auf sich?
Vorab, wenn etwas unklar ist: Das ist/So funktioniert Tinder und darum flörte ich (auch) online.
Das ultimative Beziehungs-Bingo
Langjährigen Singles sagt man gerne nach, sie hätten viel zu viele Ansprüche, die kein Mensch auf diesem Planeten erfüllen kann. Tatsächlich erforderte meine Wunschliste lange Zeit Endlosdruckpapier. Auf diesem stehen wie auf einem Bingo-Feld viele, viele Wünsche (Ziffern), die man man bitte alle erfüllt haben will, damit man laut „Bingo!“ brüllen kann.
In meiner Teenie-Zeit war meine Wunschliste noch nicht so lang und deutlich vom Spirit der 90er gesprägt: Süß sollte er sein, mindestens wie Leonardo, aber schon auch cool, so wie Kurt oder einer der Oasis-Brüder, und um Himmels Willen kein Boyband-Lackaffe oder verlauster Kelly. Und besser küssen als der Erste sollte er können. (Habt Ihr das früher auch gespielt: Man legt in einen Eimer voller Wasser einen Apfel. Wer zuerst davon – ohne Hände! – abbeißen kann, hat gewonnen. Ziemlich genau so fühlte sich mein erster Kuss an.)
Das Bingo-Endlospapier hat sich seitdem noch ein paar Mal mehr um die eigene Achse gedreht: Musikalisch sollte er bitte sein, am besten Gitarre oder Klavier spielen (in den späten 20ern ergänzt um Cello); klug natürlich, natürlich, interessant, er sollte für irgendetwas brennen (aber bitte nicht für Autos oder Fußball), spannend sein und sportlich (aber ohne allzu viel Trainingsaufwand), so schlank/leicht, dass ich nicht befürchten muss, bei irgendwas zerquetscht zu werden; belesen sollte er sein (aber kein Klugscheißer), er sollte Katzen mögen, sich gut anfühlen, kochen können, von mir aus auch backen, gerne ins Kino gehen, ähnliche Musik mögen, einem anderen Mann eine aufs Maul hauen, wenn der mich beleidigt und einer anderen Frau über die Straße helfen, wenn sie über 80 ist, lieb sein, treu und ehrlich, respektvoll, freundlich, offen, aufgeschlossen, humorvoll, einen Hauch sarkastisch, lustig (ohne es zu übertreiben), und natürlich sollte er auch hübsch sein (Wuschelhaare!), gut riechen, nette Hände und Unterarme und einen tollen Hintern haben – aber keine Knubbelzehen, und gute Klamotten tragen. Er dürfte gerne etwas Geisteswissenschaftliches, Kreatives oder Handwerkliches machen, gerne alles auf einmal. Es wäre unserer Beziehung förderlich, besäße er eine Katze, einen alten Volvo V70 und eine Altbauwohnung mit Fischgrät-Parkett und Flügeltüren oder alles auf einmal.
Das alles ist grob gekürzt und unterscheidet sich von der Wunschliste der meisten Freundinnen lediglich in den Inhalten, nicht in der Menge. Irgendwann, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als wir Leo nicht mehr „süß“ nannten, sondern „einen Schauspieler, der endlich einen Oscar verdient”, kapierten wir langsam, auf einige Punkte zu verzichten. Wir wurden aber dennoch nicht müde, ständig neue hinzuzufügen: Irgendwann wurde es auf einmal Thema, dass er keine Glatze oder Kinder hat. Nun ist so eine Wunschliste noch ganz drollig, wenn man 13 ist. Irgendwann wird es eher peinlich bis erschwerend, wie ein Skianzug in der Sauna.
Gerade noch rechtzeitig kapierte ich, der Endlos-Bingo-Rolle einen Tritt zu verpassen. Ich nahm von Herzen an, was mir Amor aufs Spielbrett spülte; brüllte begeistert „Bingo!“, auch wenn er „eigentlich“ zu klein, Hunde- oder Glatzenbesitzer oder Vater war. Es funktionierte und war schön, aber nie so intensiv oder lange, wie „es hätte sein sollen“, zumindest in dem Paralleluniversum, in dem ich mit 35 zweifache Mutter, fünffache Katzenbesitzerin und glücklich verheiratet bin. Aber ich hatte es kapiert: Liebt man erst einmal, sind Argumente sowas von egal. Ich begann also, mein Wunschpartnerwunschzettelbingo in Frage zu stellen – und wechselte zu Tic Tac Toe.
Das 1×1 des Dating-TicTacToe
Bei TicTacToe hat man nur noch neun Spielfelder. Diese befüllt man aber nicht mit eben so vielen Wunsch-Eigenschaften, sondern versucht, drei Elemente in einer Linie zu vereinen. Diese drei sind: Körper, Seele, Geist. Bevor Ihr jetzt „Boah eeeeso!“ schreit, weil Euch das zu abgefahren und „Seele“ schon nach Märchen-Ponyhof-Trullala klingt: Man kann es auch Kopf, Herz und Körper (mit Schwerpunkt Unterleib) nennen. Das hat jeder – vielleicht hat der eine oder andere von dem einen oder anderen ein bisschen mehr oder weniger.
Was bedeutet das nun in Beziehungsdingen? In Verben ausgedrückt:
Man sollte sich …
- mögen (Seele/Herz)
- verstehen (Geist/Kopf)
- begehren (Körper/Unterleib)
Das sind nur drei Sachen. Nur drei! Im Vergleich zum Drölfzig-Trillionen-Bingo sind das nicht mal Peanuts, sondern Chiasamen. Das Dumme ist nur, dass diese drei Ebenen, auf denen „es passen soll“, auch wirklich alle vorhanden sein müssen. Und das bei beiden. Ich muss ihn mögen, möchte mich geistig stimuliert und körperlich angezogen fühlen. Das bringt mir aber alles nichts, wenn er nicht ebenso empfindet. Zudem ist es von Vorteil, wenn man sich im gleichen Zeit-/Raumkontinuum und nicht in einer anderen Beziehung befindet.
Stimmt es nun gegenseitig auf der körperlich-geistig-seelischen Ebene, haben wir das, was eine Beziehung von einer Freundschaft oder einem OneNightStand unterscheidet – und eine Beziehung am Laufen hält. Wer auf einer Ebene den Draht zueinander verliert, nicht mehr miteinander reden kann, kein Herzbumpern mehr spürt, wenn er den anderen vom Zug abholt oder beim Sex nur daran denkt, wie es bei Mr. Robot weitergehen könnte, sollte vielleicht lieber seine Beziehungs-TacTic überdenken. Vielleicht reicht ihm aber natürlich auch das TicTac, weil die Uhr schon zu laut tickt. Oder weil ihm gerade eben ein TicTac als kleine Nascherei für zwischendrin reicht. Mir ist das leider zu wenig, weil dann das vernachlässigte Drittel in mir leise wimmert. Wobei ich mir zugestehe, dass das TicTacToe häppchenweise geschehen kann und nicht zackbummmäßig auf einmal passieren muss.
Und wenn es erst nur „TicTac…“ macht?
Treffen nur zwei Parameter beim Dating-TicTacToe zu, ergeben sich auch schöne Spielvarianten:
- Beide mögen & verstehen sich.
Man hat einen neuen wunderbaren Freund gefunden, inspiriert sich, versteht sich, gibt sich Halt. Gut möglich, dass so eine Freundschaft auch entgegen aller Harry-und-Sally-Gesetze ein Leben lang hält. Kenne ich mittlerweile ziemlich gut. - Beide mögen & begehren sich.
a) Man verbringt zusammen ein paar heiße Nächte und hat eine sehr schöne Zeit zusammen. Fragt sich nur, wie lange.
b) Das reicht den beiden, und sie verbringen ein glückliches, wenn auch eher wenig geistreiches Leben miteinander. Auch gut. - Beide begehren & verstehen sich.
Man verbringt die heißesten und heiß durchdiskutiertesten Nächte überhaupt, es ließe einen aber tendenziell eher kalt, wenn der andere am nächsten Tag von einem Auto überfahren würde.
Aber wenn man nun doch alle drei haben will? Kann sich da später noch was entwickeln, wenn das Date kein TicTacToe-Volltreffer war? Gibt es die Liebe auf den dritten Tic?
Wenn das „Toe“ nachkommt
Nicht selten werden aus Freunden oder Kollegen Liebende. Dass man jemanden auf einmal plötzlich doch verdammt heiß findet, geschieht häufig: Kennt man sich erst gut genug, weiß man einander zu schätzen und … will plötzlich knutschen. Ungeklärt bleibt jedoch, ob dieses Flämmchen nicht schon von Anfang an da war, und es einer oder beide anfangs nicht wahrhaben wollten aus Gründen, die sie nicht wahrhaben wollten.
Okay – wir können also jemanden erst mit etwas Verspätung sexy finden, selbst erlebt. Aber was, wenn man sich vom anderen, obwohl er echt sexy ist, geistig null stimuliert fühlt oder er emotional außen vor bleibt?
Wenn die geistige Verbindung fehlt: Ich erinnere mich an das Date mit Jan.
Jan fand ich auf Anhieb ausgesprochen attraktiv. Hätte er mich küssen wollen, bitte, nur zu! Aber Jan sprach stattdessen. Heraus kam substanzlose Masse in tiefstem Sächsisch. Jan lachte sogar im Dialekt. Ich vermied es ab sofort, etwas auch nur ansatzweise Lustiges zu sagen. Leider fand Jan alles lustig. Er erzählte unheimlich viel und laut, hatte aber Nichts zu sagen. Ich gestand schließlich dem Brot im Körbchen auf dem Bistro-Tisch mehr Intelligenz als ihm zu. Es stimmt mich sehr traurig, wenn das Brötchen das intellektuelle Highlight eines Dates ist. TicTac.
Wenn die seelische Verbindung fehlt: Ein anderer, Michael, ein saumäßig cooler und intelligenter Typ, fesselte mich die dreieinhalb Stunden im Elements ausgiebig: Wie klug er war! Und faszinierend! Und heiß! Die Vibes flirrten, aber es fehlte an Wärme. Vielleicht, weil Winter war. Vielleicht auch, weil sich kurz danach herausstellte, dass er noch in seine Ex verliebt war. Erstaunlicherweise traf mich das überhaupt nicht. Er war mir egal. TacToe.
Eine Freundin ist der Meinung, man bräuchte einfach drei Männer, jeweils einen für eines. Vielleicht hat sie recht. Mir wäre das zu stressig.
Nun begeistert diese dreifache Erwartungshaltung nicht viele und schon gar nicht, wenn man diese so deutlich in Worte fasst. Mit einem, Christian, schrieb ich nur kurz. Er fragte so ziemlich als erstes: „Was muss Dein Traummann haben?“ Und ich, gnadenlos ehrlich, weil ich mit einer so platten Frage nicht gerechnet hatte: Gar nichts; es müsse nur seelisch, geistig und körperlich passen. Von Christian hörte ich nur noch einen Satz: „Du spinnst, das ist unmöglich, du bist viel zu anspruchsvoll.“ Ich bin mir sicher, er wischte mich so weit nach links, dass er sich sein Daumengelenk ausgekugelt hat und seitdem immer noch in physiotherapeutischer Behandlung ist. Seitdem antworte ich auf diese ohnehin bescheuerte Frage nur noch mit einem allgemeingültigen und aus „300 Days of Summer“ geklauten: „Er muss real sein“.
Die beste TicTacToe-Taktik?
Man erwähne das TicTacToe niemals, sondern halte den Ball anfangs lieber so flach wie nur möglich. Lieber lächelt, schäkert und flirtet man so gut es geht, fühlt nebenbei auf der geistigen, seelischen und körperlichen Ebene vor und malt nebenbei heimlich still und leise seine drei Zeichen auf das Zettelchen. Befinden die sich tatsächlich auf einer Linie, verkneift man sich aber besser ein lautes „TicTacToe!“. Kann gut sein, dass das das Gegenüber verwirrt. Vielleicht hat er gar nicht drei Zeichen auf einer Linie. Und vielleicht spielt er ja Schiffe versenken.
Die vielen Spielformen der Liebe
Manchmal muss man keine TicTacToe- oder Bingo-Zettel ausfüllen. Manchmal richtet sich ganz unerwartet ein Spot auf dich, Gold-Flitter und Konfetti in Rosa, Hellblau und Zartgelb schwebt von oben herab und verstopft die Rillen zwischen Auxburgs Kopfsteinpflaster, hymnenhafte Musik und herzlicher Applaus schwingen sich empor und eine viel zu laute Stimme überdröhnt alles mit „Jackpot!“. Der glückliche Gewinner greift zu und genießt. Sowas soll es ja durchaus geben, die Chancen stehen 1:283908209584534. Ach übrigens: Spielen kann süchtig machen!
Für andere wiederum sind Beziehungen eher wie Jenga: Man baut beständig fleißig am gemeinsamen Häusle, pardon, Turm. Für Viele hat Liebe was von einem Versteckspiel. Manche spielen lieber Mensch-Ärgere-Dich-Nicht, weil ihnen ohne das Feuer fehlt. Einige geben sich mit Roman, Romy oder Rommée alleine nicht zufrieden und spielen gleichzeitig Dame oder Schwarzer Peter. Sie ziehen dabei das perfekte Pokerface. Für andere wiederum ist die Liebe ein einziges riesengroßes Monopoly. Nicht wenige geben sich damit zufrieden, jahrelang Solitär zu spielen. Da findet jeder seins. Alles ist gleich gut, solange es sich für den Einzelnen – besser noch: beide Betroffenen – richtig anfühlt. Die einzige Regel in jedem Spiel: Freude soll es machen.
Verlierer gibt es übrigens keine. Es sei denn, man verliert sich selbst.