Ich habe ein Problem – das so natürlich eigentlich keines ist. Seit einiger Zeit passiert eine bestimmte Farbe immer wieder meinen Weg, für die ich noch keinen passenden Namen gefunden habe. Natürlich könnte man die undifferenzierte Matschfarbe so nennen, wie sie heißt: Graugrün. Aber in Zeiten von Oats statt Haferflocken und Greige statt grau-beige verdient dieser hübsche Farbton einen eigenen Namen. Warum nicht Graün?
graün: ein zartes, helles grau-grün
Graün, graün, sind alle meine neuen Sachen: Da wäre der Wollschal, über den ich zufällig gestolpert bin. Er sah inmitten der vielen bunten Schals und gemusterten Tücher nach Nichts aus und stach mir genau deswegen ins Auge. Zudem ist er kuschlig weich und warm und schmeichelt meinem grauen Winterteint. Gekauft! Kurz darauf verfiel ich in Strickwahn und fabrizierte eine graüne Mützen. Ein graüner Pulli folgte zu Weihnachten, nicht selbst gestrickt, aber selbst bei Mama in Auftrag gegeben. (Solltet Ihr den nachstricken wollen: Ich wünsche viel Geduld mit den Ärmeln! Die Info zum Strickmodell und allen anderen Produkten findet Ihr am Schluss.)
Alle graünen Teile sind kuschlig weich, als wäre die Farbe dafür zuständig, die Haptik von Wolle in eine Farbe zu transferieren: Wärmend, weich, aber nicht pudrig-zart-flauschig-rutschig, sondern mir einem leichten, sympathischen Kratzen, genau diese 0,5 erträglichen Prozent, die das Gefühl verleihen, ein Naturprodukt zu tragen. Und nun ratet mal, in welcher Farbe ich heute einen reduzierten Nagellack erwischte … (Essie „Who is the Boss“) und einen Yogagurt. Nicht zu verwechseln mit Yoghurt. Da gibt es meines Wissens keine Sorte in graün. Also, irgendwann schon, wenn man es nur lang genug im Kühlschrank stehen lässt.
Graün ist dabei aber gar nicht eklig und gar nicht so ökig, wie es alleine betrachtet wahrgenommen werden könnte. Kombiniert man es mit kühlen Farben, bekommt Graün etwas überraschend Cooles, ja fast schon Vornehmes: Es ist Understatement pur!
Graün: Eine Farbe für jeden –
wenn man sie denn als solche erkennt.
Graün ist eine neutrale Farbe. Es ist ein warmes Grau mit dem minimalsten Bisschen Grün.
Es reiht sich ein in die Reihe der Matschfarben Taupe und Greige.
Es ist zarter und weniger Grün als Olive, weniger gelbstichig als Khaki, viel zu schwach, um Jade und zu bunt, um ein schlichtes Grau zu sein. Am ehesten würde noch Salbei passen – sehr ausgewaschener Salbei. Ich liebeliebe Mint, aber halte ich Graün gegen Mint, sieht Graün auf einmal nur noch Grau aus. Es ist eine Gratwanderung, wie sie knapper nicht sein könnte.
Graün ist eine Farbe, die ich vielleicht deswegen so mag, weil sie in das Profil des „gedämpften Sommertyps“ ganz hervorragend passt (was ich bin, aber meistens ignoriere). Zudem vereint sie die Tristesse des Winters mit der Hoffnung auf den Frühling. Passt doch!
Nur ist Graün nicht für jeden Graün – je nach Farbempfinden ist es für einige einfach nur Grau. Zum Beispiel für meine Schwester, die sich eher über Primär- und Sekundärfarben artikuliert.
Wie kann man das tragen?
Kombiniert werden kann Graün wunderbarst mit dem farbverwandten Mint. Schwarz & Weiß machen es frischer, Rosenholz oder Petrol ergänzt es wunderbarst. Ich kann mir vorstellen, dass Graün und Koralle im Frühling eine bezaubernde Liaison eingehen. Wäre Rost dazu im Herbst nicht wunderhübsch? Oder ein sattes Bernstein? Gibt es eine Farbe, die dazu nicht gut aussieht? Sogar Altrosa würde gehen.

Was aber echt perfekt zueinander passt: Graün und Marsala! Zu der angeblich so gehypten Trendfarbe (in Augsburg begegnet man ihr tatsächlich sehr selten) bildet Graün einen ebenbürtigen Kontrahenten, nimmt dem tiefen Bordeaux die Schwere und den versnobten Touch. Marsala wird mit Graün und Schwarz-Weiß überraschend frisch und modern. Vielleicht überlegt sich Pantone schon, Graün als übernächste Trendfarbe auszurufen? Verdient hätte es das! 2016 ist leider erst mal Schweinchenrosa dran.
Und Graün liebt es, wenn ein Accessoire dazu cognacfarben ist. Dann beginnt Graün zu vibrieren, und der Hauch Farbe kommt deutlicher zum Vorschein – und der Frühling hoffentlich noch schneller.
Titel-Bild (von links oben nach rechte unten):
➳ Wollschal im Pashmina-Format, Marke vergessen & Etikett entfernt (TK Maxx-Fundstück)
➳ Essie „Who is the Boss“ unten, oben „Turqouise and Caicos“ (Wenn der Boss limitiert sein sollte: Maximilianstraße Her sollte ein adäquates Dupe sein)
➳ Yogagurt von Manuka
➳ riecht Graugrün: Italian Summer Fig Eau de Toilette von The Body Shop
➳ Wollknäul mit Farbverlauf von Türkis über Graün zu Rosenholz, Wolle Rödel
➳ eindeutig nur Grau: die neuen heißgeliebten Adidas Gazelle OG in Ash (mussten trotzdem mit ins Bild!)
➳ Tiere erlebt und belauscht, herausgegeben von Hans-Wilhelm Smolik, C. Bertelsmann Verlag, 1955
➳ Selbstgestrickte Mütze, Wolle Lana Grossa Yak Merino, Schilf meliert (oder war es doch Grège?)
➳ handgestrickter, flauschig superwarmer Pullover (Modell von Lana Grossa)
Update & Aussprache
Wie Tanja in den Kommentaren anregte, wäre Gräun auch eine denkbare, wenn nicht sogar sinnvollere Schreibweise. Da hat sie Recht!
Da ich gestern beim Schreiben des Artikels ständig an „Gra-ün“ dachte, so ein bisschen froohsööhsisch ausgesprochen, bin ich auf diese Schreibweise angesprungen. Kurz vorm publik machen heute Morgen dachte ich, die Aussprache „greun“ wäre logischer, analog zu Greige (und passte noch schnell einen Satz im Artikel an).
Was jetzt schöner klingt, passender ist und sich sinnvoller und typographisch hübscher schreibt, darüber können wir noch spekulieren und diskutieren. Wenn Pantone und RAL diese Farbe in ihre Fächer aufgreifen wollen, werden wir uns schon auf etwas geeinigt haben. Schlimmstenfalls ist es dann eben wie bei Taupe: Da sagen ja auch viele„tau-pe“ anstatt „tohp“.