Was dem Dude sein Fuck, ist dem Waldviertler sein „Schaaß“*. Aber was genau ist in Braunschlag im österreichischen Waldviertel los, dass die Bewohner so oft fluchen? Klar ist: Ein „Schaaß“ ist schnell mal was, um nicht zu sagen: Alles. Manchmal hat es fast etwas Liebkosendes in sich. Die Waldviertler Schnodder-Goschn scheißt, nein, schießt eben schnell. Aber so richtig gut läuft es im fiktiven Dorf Braunschlag tatsächlich nicht:
- Das Dorf hat kein Geld, „ist Griechenland“. Ein Resultat der Weltwirtschaftskrise oder doch des ausbleibenden Tourismus?
- Gerhard (Gerry) Tschach ist „am Oarsch“, als Bürgermeister und Ehemann, da er nicht bemerkt (bemerken will bzw. ihm nicht wichtig ist, es zu bemerken), wie er und seine Frau Herta auseinander driften. Herta möchte zum Beispiel kuscheln. Gerry mag das nicht, weil das „so pickt“. Dass er aus Geldgründen den Mauritius-Urlaub gecancelt hat, treibt einen weiteren Keil zwischen sie. Und dann kommt noch Tochter und Koks-Näschen Babs mit ihrem neuen Freund und will Geld „fürs Zusammenziehen“…
- Der kauzige Eigenbrötler Reinhard Matussek wartet und wartet und wartet vergeblich auf UFOs auf seinem mitten im Wald errichteten Landeplatz. Mit Bar.
- Richard Pfeisinger, dank Dorfdisko relativ vermögend, säuft ein bisserl arg zu viel und hat Probleme mit seiner Frau Elfie, die unbedingt schwanger werden will. Was nicht unbedingt besser wird, als sich herausstellt, dass Richard zeugungsunfähig ist. Davon weiß Elfie aber natürlich nichts. Übrigens sind Elfie und Reinhard Geschwister und Kinder vom Dorf-Reichsten Matussek Senior. Der sein Herz und Geld lieber an Tiere vergibt und an Elfie nur, wenn sie sich von ihrem „Kretin“ Richard trennt.
Inspiriert von einem Radiobericht kommt Gerry auf die Idee, ein Marienwunder in Braunschlag zu inszenieren. Zusammen mit seinem Freund und Saufkumpanen Richard findet er auch ein geeignetes Opfer: Reinhard. Dass der Maria und Aliens durcheinander bringt, macht nix. Hauptsache, er glaubt an die wundersame Marienerscheinung und erzählt es überall im Dorf. Womit die zwei Schlawiner allerdings niemals gerechnet hätten: Reinhard steigert sich so hinein, dass er sogar Maria in sich sprechen zu hören glaubt: „Braunschlag braucht Liebe und Freude!“ Und bald stehen alle in Braunschlag Kopf.
Weil so ein Wunder natürlich von der katholischen Kirche ausgiebig geprüft werden muss, schickt der Vatikan Banyardi – einen jungen, skeptischen, scharfzüngigen Schönling („Nicht jeder Schaaß ist ein Wunder!“), der bald aber nur noch Augen für Silke, die Magd von Gerrys Crazy-Cat-Mama, übrig hat und deswegen länger als nötig in Braunschlag bleibt.
Soviel fürs Erste zum Inhalt.
– Video aus Datenschutzgründen entfernt –
Ausgefuchste Antihelden, Knallharte Klischees, detailverliebte Nicht-ausstattung und kratzige Dialoge
Die Serie lebt neben der grotesken Geschichte mit skurillen Szenen und fiesen Details (die Katze, die ans Fenster patscht!) und überraschenden Wendungen vor allem von den ausgefeilten, überspitzten und gleichzeitig glaubwürdigen Charakteren. Auch die, die nur selten auf der Bildfläche erscheinen, sind so stark, dass jede Szene wichtig und witzig ist. Verschnaufpausen gibt es in den ca. 45-Minütern kaum. Die Rollen werden gnadenlos zugespitzt: Da ist die scheinbar beneidenswerte Ehefrau Elfie etwa (allein die Namenswahl mutet an, österreichische Milieu-Archetypen schaffen zu wollen), „die Dorf-Blondine“, auf den guten Schein erpicht und Kitsch, Kerzenschein und zu viel Champagner nicht abgeneigt; die ruhige Herta, die genau weiß, was sie will – und überraschend Mut beweist, wenn sie sich es auch holt; die dornenvögelige Romanze zwischen dem Geistlichen und der Magd – nie wurde so pathetisch und farblich überhöht an einem Stück Fleisch genagt. Susi und Strolch sind ein Schaaß dagegen. Und je länger man zuschaut, umso mehr wird an den Klischees gekratzt: Die Schattenseiten der einzelnen Personen kommen mehr oder weniger schnell zum Vorschein. Für Überraschungen ist gesorgt!
Zusätzlich amüsieren die politisch inkorrekten Anspielungen aufs aktuelle Weltgeschehen (Wirtschaftskrise, Griechenland, Asylanten). Dabei wurde Braunschlag bereits 2011 gedreht.
Auch die Ausstattung passt und ist authentisch: Bei den Tschachs stimmt sogar die Bordüre am Kaffeetassenrand oder das voll verbaute Einbau-Vollholz-Schlafzimmer, bei dem das Bett nahtlos in den Schrank übergeht. Passend mit überbunter Bettwäsche, versteht sich. Den Kaffeetisch schützt eine Plastik-Tischdecke; die Wände sind voller Familienbilder, Erinnerungsstücke und anderem Glump. Im starken Kontrast steht dazu die teure, aber nicht minder geschmacklose Inneneinrichtung im imposanten Hause Pfeisinger. Nein, stylish und schön ist Braunschlag nicht. Sondern ernüchternd echt. Trotzdem wirkt die Serie dank Kameraführung und Soundtrack durchaus modern.
Braunschlag ist bitterböse, um fiese Pointen nie verlegen, gleichzeitig herrlich down to earth. Fantastisch auch, wenn die Freunde Gerry und Richard miteinander frotzeln. Die Beziehungen? Alle auf ihre Weise problematisch, denn lösungsorientierte Kommunikation ist nicht so bekannt in Braunschlag und in Serien ja generell nicht. Das wäre ja auch fad. Die Dialoge in Gerrys und Hertas bröckelnder Beziehung kennt man – meint man. Braunschlag setzt immer eins drauf:
Herta schaut. Intensiv.
Gerry: „Ist was?“
Herta: „Was soll denn sein?“
Gerry:„Du schaust wie ein Fernseher, den man vergessen hat auszuschalten.“
Das alles in tiefstem Waldviertlerisch. Einfach herrlich! Rotzig, überraschend und gleichzeitig clever. Zugegeben: Alles verstehe selbst ich Dreiviertelösterreicherin nicht. Also: Einfach öfter anschauen. Hab ich überhaupt kein Problem mit!
Fazit
Nach drei Folgen bin ich bereits Fan – war es schon nach den ersten zwei Minuten. Ich liebe einfach den österreichischen Humor und Slang und ertappe mich bereits dabei, selbst wieder häufiger „Schaaß“ und „Bist deppat?“ zu verwenden. Kenn ich ja von früher, von meinen Cousins aus dem Waldviertel. Ich kenne auch einige Orte, vom Hörensagen, vom Vorbeifahren; ich kenne solche Schlafzimmer, Kaffeetische, Foddööös (und damit meine ich nicht die tausend Fotos an den Wänden, sondern „Fauteuils“, also Sofas). Vielleicht taugt mir Braunschlag deswegen so.
Die Charaktere sind mir mit all ihrer Anti-Heldenhaftigkeit und unprätentiösen Art wahnsinnig sympathisch. Weil sie einfach auch überzeugend und grandios gespielt werden: Besonders zu erwähnen sind da Maria Hofstätter/Herta (hat ein prima Gschau drauf, auch als traurigster Hase der Welt!), Raimund Wallisch/Reinhard (wenn er wie er wie ein kleiner Schuljunge spricht, als er die Jungfrau Maria definieren soll!) und den Fiesling Manuel Rubey/Banyardi (diese akzentuierte, mit tausend Schlangenzungen gespickte Sprache mit gleichzeitig so sanfter Stimme!). Gerry und Richard, gespielt von Robert Palfrader und Nicholas Ofczarek, bilden ganz klar ein fantastisches Duo, die ihre Virtuosität vor allem im Miteinander beherrschen.
Kloar: Tatort liegt nächsten Sonntag auf Eis. Ich schau lieber Braunschlag.
Kurz & kompakt
Regie & Drehbuch: David Schalko, Superfilm
Erstausstrahlung: 18. September 2012, ORF 1
8 Folgen à 45 Minuten
Mit: Robert Palfrader (Gerry), Maria Hofstätter (Herta), Nicholas Ofczarek (Richard), Raimund Wallisch (Reinhard), Nina Proll (Elfie), Manuel Rubey (Banyardi), Adina Vetter (Silke), Sabrina Reiter (Barbara), Christopher Schärf (Ronnie) u. a.
Die nächsten Sendetermine –
wann kommt Braunschlag im tv?
Da Braunschlag längst abgedreht ist, gibt es die ganze Serie bereits als DVD zu kaufen. Aktuell läuft es aber auch ganz klassisch im TV:
Auf 3Sat
- 25.10. 2015, Sonntag, ab 20:15 Uhr zwei Folgen (4, 5)
- 26.10.2015, Montag, ab 20:15 Uhr drei Folgen (6, 7,8)
- 27.10.2015, Dienstag Nacht, ab 0:00 Uhr alle Folgen. Bist deppert?
AUF Einsfestival
Braunschlag läuft auch dienstags um 20:15 auf einsfestival (Wiederholungen Sonntag Nacht), hängt da aber etwas hinterher, da wird am 27.10. Folge 3 ausgestrahlt.
Online
Zudem finden sich die ersten drei Folgen aktuell auf 3Sat in der Mediathek.
Stand: 22.10.; Alle Angaben ohne Gewehr, ich habe nämlich keines, das hat Gerry für die Hasenjagd. Also Ihr wisst schon: Im Zweifelsfall selbst nochmal gucken. Ich garantiere nur, dass die Serie irrsinnig Spaß macht, vorausgesetzt, Ihr habt den gleichen Humor.
* appendix: waldviertlerisch/Österreichisch–Deutsch
Aussprache: Weich (aus P wird B, aus T wird D, aus ER wird A etc.), melodiös, eher langsam
„Bist deppert?“ = „Bist du bescheuert/bekloppt/doof/…?“ : Weniger eine rhetorische Frage als vielmehr ein Ausruf des Entsetzens
Glump = unnützer Krempel
Goschn = Mund, Schnauze
Gschau = Gesicht, Ausdruck
Oarsch = Arsch
patschen = knallen
pickig/pickert = klebrig
Schaaß = Scheiß(e) : Vor allem die im übertragenen Sinn dingfeste Scheiße. Allgemeine, undifferenzierte Scheiße wird auch mal als Scheiße bezeichnet.