Nun ist es also offiziell, und ganz Deutschland bleibt zu Hause. Es ist keine Empfehlung mehr, nein, es ist eine Regel, hat Frau Merkel am 22.3.2020 deutlich gemacht*. Also bleiben wir daheim und arbeiten von zuhause, sofern möglich. Bei mir ist es sehr gut möglich. Also, theoretisch. Es folgt: Teil 1 der auxkvisiten #CoronaHomeStories – Homeoffice: Ein Crashkurs in Entschleunigung. Emotionale Entgleisungen inklusive.
Ein Crashkurs in Entschleunigung
Ich wohne seit meinem Umzug in einem denkmalgeschützen Altbau mit vielen tollen Nachbarn. Das ist wunderbar. Solange nicht alle Wunderbaren von zuhause aus arbeiten. Denn diesem Ansturm hält das Internet hier nicht stand – und wie ich es mittlerweile tröstlicherweise mitbekommen habe, andernorts auch nicht.
Pfersee war schon offiziell digitale Diaspora, als ich hergezogen bin. Bei Vertragsabschluss lachte der Typ im Laden: „Wenn Sie weiter unten im Haus wohnen, haben sie vielleicht noch Glück!“ Die mickrige Internet-Verbindung war bislang für Privatnutzung völlig okay. Aber wenn du mit so einer Verbindung vernünftig arbeiten willst, lernst du nun erst einmal: Ent-schhh–l-l-l-euuu-n … i.i.i…gung. So klingen momentan die Online-Konferenzen, an denen ich teilnehmen will. Also nehme ich an digitalen Konferenzen grundsätzlich ohne Kamera teil, weil sonst gar nichts mehr funktioniert und kann mich währenddessen unbemerkt die Augen geschlossen halten – nicht, um zu schlafen, sondern weil ich meine komplette Konzentration brauche, die Wo…rrrr…fzzz…n zu verstehen.
Mittlerweile darf ich ein stärkeres WLAN von Nachbarn mitbenutzen, was das Homeoffice aber auch nur marginal besser macht. Was genau meine Verbindungen ins Internet und Firmennetz so unendlich langsam macht, versteht keiner so richtig. Fakt ist: Wenn ich ein klitzekleines Bild vom Firmenserver laden will, kann ich 20 Sekunden warten, bis ich die Info angezeigt bekomme, dass es nur 16 kB groß ist. Ebenso lange, wenn nicht länger, dauert der Download. Ich hantiere in meinem Alltag normalerweise mit mindestens 30 MB großen Photoshop-Dateien. E-Mails verschicken? Ging in der ersten Woche oft nur mit acht Stunden Zeitversatz. Und der VPN-Zugang schaltet andere Systeme aus: Das Internet (ohne, dass ich das mitbeomme – erst dann, wenn mich mein Handy anvibriert), und natürlich das ein oder andere Adobe-Programm. Am liebsten Indesign.
VPN, Internet ODER Indesign: Ob du richtig stehst, siehst du, wenn die Tür aufgeht.
Alles wie immer gleichzeitig verwenden? Kannste knicken. Ich, die immer gerne alles möglichst schnell macht, erlebe im Homeoffice den ultimativen Crashkurs in Entschleunigung. Und muss mich und meinen Workflow neu strukturieren: Gearbeitet wird nun nicht mehr parallel, sondern in Blöcken. Was ziemlich blockiert. Aber hej, vermutlich tut mir diese neue Langsamkeit mal ganz gut.
Ein neues Zeitgefühl, das zehrt
Vor Corona begann meine Arbeitszeit zwischen 9 und 10 Uhr. Also um 10:02 – dank Bus & Tram.
Zu Beginn des Homeoffice denke ich mir, vermeintlich schlau: „Wenn Tramfahren ausfällt, kann ich ja auch um oder vor 9 loslegen!“ Heya, wow, super motiviert und eiskalt geduscht setze ich mich mit überraschend klarem Kopf für diese Uhrzeit vor den Rechner. Will mich irgendwo einloggen. Statt Wechseldusche gibt es nun ein Wechselbad der Gefühle. Nie in meinem Leben zuvor habe ich so viel geflucht. Mich regt kaum etwas mehr auf als irgendeine Technik, die nicht funktioniert.
Also denkt sich die Eule Miriam eben ganz schlau: „Gehe ich eben in Nachtschicht!“ Eigentlich würde das meinem Biorhythmus ja auch total entsprechen. Richtig umgesetzt habe ich es aber bislang nicht, denn ich habe immer um 9 angefangen und eben öfter „Pausen“ gemacht. „Pausen“, weil das Internet gerade mal nicht geht, sind aber keine Pausen, weil man alle 4 Minuten zum Rechner rennt und nachschaut, ob der Download endlich fertig ist. Ich war ständig im Arbeitsmodus und am Abend so erschöpft wie sonst nie, dass ich am Feierabend nach fünf Minuten Simpsons eingeschlafen bin.
Ich mus also erst einmal lernen, mich selbst zu disziplinieren.
Emotionales Überbrodeln auf 3, 2, 1!
Nach der ersten Woche im Homeoffice kann ich kaum abschätzen, wie es sich auf weitere und noch dazu unbestimmt lange Zeit hin anfühlen wird, allein daheim zu sitzen und zu arbeiten. Arbeitabläufe pendeln irgendwann neu ein, klar. Aber nicht nur die. Ich bin fest davon überzeugt, wir haben eine riesige Chance in dieser Zeit – und können viel Sinnvolles daraus ziehen. Übrigens auch, dass sich alles zum Guten wendet. Aber der Weg dahin ist emotional anstrengend: Existenzängste bei den einen, Lagerkoller bei den anderen, Einsamkeit bei den meisten, und natürlich immer wieder die Angst.
Bei mir sind am Wochenende auch Emotionen hochgekocht, wie ich sie vorher nicht kannte: Wut auf die Scheiß-Situation, auf das verfickte Internet und das verdammte Gefühl, in der Arbeit nicht ernst genommen zu werden, als würde ich einen auf „Mein VPN geht nicht, mimimi“-machen und die ganze Zeit eigentlich nur Netflix gucken.
Die Corontäne** triggert die fundamendalsten ureigenen Ängste. Eben weil die Situation einem so an die Substanz geht.
Was mir hilft, wenn die Emotionen hochkochen: Rauslassen (aufpassen, dass dabei nichts kaputt geht 😉 ), zulassen … und atmen. Ich meditiere schon lange und jetzt erst recht. Aktuell lege ich den den Fokus auf den Atem, mindestens eine halbe Stunde, und sage den Gedanken, die vorbeikommen: „Du kommst hier nicht durch, gaaaaanz schlechte Verbindung!” 😀
Ansonsten habe ich hier auch mal beschrieben, wie du dich deinen Ängsten stellen kannst. (Und eine neue, sinnvollere Meditations-Idee könnte ich hier auch mal einfließen lassen: wie man sein Hirn ruhiger schalten kann. Interessiert?)
Und sonst so?
Mein Homeoffice ist übrigens in der Küche. Das hat viele Vor- und so manche Nachteile. Welche, kann ich demnächst berichten, wenn dich das interessiert. Kommentier gerne auf Social Media, solange ich hier die Kommentare noch nicht zum Laufen gebracht habe – du findest mich auf Instagram , Twitter und Facebook.
Aber jetzt, jetzt geht’s erst wieder Richtung Entschleunigung.
*Quelle: ARD Tagesschau
**fuenfhauser (Kollege W. W.) auf Twitter hat’s als Erster gesagt. Alle anderen – inkl. mir hier – sind böse Nachplapperer und Kopisten! Aber das Wort ist auch einfach zu gut.