In den letzten 14 Monaten bin ich mehr gewachsen, als in den 14 Jahren davor. Vielleicht sogar mehr, als in meinem ganzen Erwachsenen-Leben! Was passiert ist? Ich habe mir eine Auszeit gegönnt. Nicht eine klassische, und auch recht nicht das ganze Jahr, in dem hier kaum was passiert ist. Denn direkt im Anschluss der Auszeit habe ich mich selbständig gemacht. Ein paar Monate Stille gehen also auf die Kappe meiner Gründung! Von diesem bürokratischen Heckmeck mit dem Gründungszuschuss willst du bestimmt nix hören. Wohl aber von der Auszeit? Dann bleib dran …
Folgendes wird einem kleinen gewaltigen Tagebucheintrag gleichkommen. Deswegen gibt’s hier schon eine kleine Übersicht für das Nachfolgende:
Übersicht der Inhalte:
Raus aus der Agentur
Einmal Weltreise und zurück?
Ein gewaltiges Geständnis (peinlich!!)
Auf neu entdeckte Leidenschaft folgt neu entdeckte Leidenschaft
Purzelndes Erkenntnisse-Domino
Von der Auszeit in die Freiheit (ohne Freizeit)
1. Mein Ende mit Agentur-Hopping
Ohne etwas Neues zu haben, habe ich gekündigt. Vorbei das Leben mit dem angesagten Status „Creative Director“! Raus aus der Agentur für Werbung, hinein in die Agentur für Arbeit. Und dann sogar da wieder raus!
So einen Tausch geht man nur ein, wenn es nicht mehr anders geht.
Im Januar 2024 zeigte mein Körper unmissverständlich, dass er nicht mehr wollte. Nix Schlimmes, zum Glück, aber zweimal etwas Nicht-Schlimmes unmittelbar hintereinander: Nur einen Tag hatte ich nach zwei Wochen Krankschreibung gearbeitet, und am Abend hatte ich schon das nächste Symptom: ein blutunterlaufenes, schmerzendes Auge.
„Bindehautentzündung!“, meinte der Augenarzt.
„Sieh genau hin!“, sagte meine Psyche.
Nach nur wenigen Tagen war auch das zweite Auge entzündet.

„Kann es sein, dass du einen Burnout hast?“, meinte meine Schwester, und das nicht zum ersten Mal. Ich empfand es all die 18 Jahre in den Agenturen niemals so, denn ich liebe meine Arbeit grundsätzlich und fand Stress und Schlaflosigkeit schon glatt normal. Über seine Chefs schimpft doch jeder mal! Im Großen und Ganzen fühlte ich mich wohl. Im Lauf der letzten Jahre aber tatsächlich immer weniger.
Weil ich die Menschen alle so mochte, wollte im Guten raus und ohne #mimimi. Ein Mammut-Projekt sollte noch über mehrere Monate laufen, und mir war klar, dass es ausgerechnet meinen Lieblingskollegen um die Ohren geflogen wäre. Weil ich ihnen das nicht zumuten wollte, blieb ich länger, als ich es offiziell hätte müssen.
Um danach inoffiziell selbst zusammenzubrechen.
Perspektive? Kaum bis gar nicht!

Ich siechte also erst einmal gepflegt ungepflegt auf meinem Balkon dahin. Perspektive? Puuh! Für eine interne Grafik oder Verlag zu arbeiten, hätte ich mir gerade noch so vorstellen können.
„Was will ich denn überhaupt? In der Arbeit, und im Leben?“ Selbständigkeit hatte ich immer wieder mal gereizt, ich mich aber nie getraut. Tatsächlich wollte ich nun erst einmal gar nichts mehr mit Design zu tun haben: Schreibt doch einfach „Lebensmittel“ auf das Ladenschild, meinetwegen auch in der Comic Sans, mir doch egal! Wer braucht schon Design?
Dass ich zu dieser Aussage fähig war, erschreckte mich weit mehr als ihr Inhalt.
Ich kündigte ein zweites Mal, diesmal der Agentur für Arbeit, und meldete mich komplett ab bei meinem freundlichen Sachbearbeiter. Bevor ich mit irgendwas weitermachen konnte, musste ich erst einmal mich selber finden. In aller Ruhe. Da ich nun alles selbst finanzieren musste, gewöhnte ich mir ruckzuck an, überaus spar- und genügsam zu leben. Das fiel mir einfach, nachdem ich erst einmal erkannt hatte:
Zeit ist das Wertvollste, das wir haben.
Einmal Weltreise und zurück?!

Als die Leute um mich herum mitbekamen, dass ich nun alle Zeit der Welt hatte, fragte bald der Erste: „Na, wohin geht die Weltreise?“ Ich lachte nur und verschluckte mich fast daran. Denn entgegen meiner sonst immer so durchorganisierten Art hatte ich gar keinen Plan für meine Auszeit! Ich hatte mir nur eines vorgenommen: Das Leben selbst machen zu lassen. Wieder zu mir selbst zu finden. Und Reisen ist ja teuerrrrrr!
Das Leben wollte mich dann doch losreisen lassen, allerdings nur in Deutschland.
„Das war sicher teurer als eine Bali-Reise!“, meinte eine Nachbarin später. Sie selbst war vor einem Jahr mehrere Wochen dort. Ich fürchte, sie hat recht. Aber zwischen Bali und mir steht eine Flugreise. Und zwischen einer Flugreise und mir eine enorme Reiseangst.
Reiseangst? Sowas gibt’s?
Die sogenannte Hodophobie trifft vor allem kontrollsüchtige Perfektionisten. Sogar Siegmund Freud soll an ihr gelitten haben. (Quelle)
Mir war das all die Jahre nie augefallen, weil sich mein System einen schlauen Trick überlegt hatte: Ich war der felsenfesten Überzeugung, Reisen scheiße zu finden!
- „Ich gebe mein Geld lieber für Dinge aus, von denen ich lange etwas habe!“ (Konsumi lässt grüßen!)
- „Ich habe keinen vernünftigen Reisepartner.“
- „Augsburg ist ja auch schön! Ich weiß gar nicht, wo ich anders groß hinwill?!“
Also blieb ich die meisten Urlaube hier, hing viel im Schwimmbad ab und war nur ab und an auf Städtetrips unterwegs.
Glaube nie der reinen Logik. Die alleine killt die Lebenslust!
Dass ich ein Hasenfuß bin, wenn es ums Wegfahren ging, kapierte ich erst, als ich nun in meiner Auszeit langsam doch Hummeln im Hintern bekam: Denn im Mai 2024 habe ich meine Liebe zur Street Photography wieder entdeckt. Und so langsam gingen mir die Motive aus.

Angst fressen Reiselust auf
Solange das Wetter noch schön war, wollte ich einmal Campen. Also zog mich alles nach Freiburg, denn immerhin ist es da am wärmsten! Und trotzdem hätte ich zwei Tage vor der Abfahrt meinen Zeltplatz gecancelt, weil – weil – weil … Und wenige Wochen später dasselbe nochmal in Kotzgrün kurz vor meiner Reise nach Dresden.
„Weil die Brücke eingebrochen ist, kann ich da doch nicht hin!“, argumentierte ich – für mein Dafürhalten – überaus logisch! (Carolabrücke, erinnerst du dich? Hier zur tagesaktuellen Meldung der Tagesschau)
„Weil eine eingestürzte Brücke ja soooo ein Chaos in der Stadt auslöst?“, foppte mich ein Freund. „Ja klaaaaaar?!!“, wollte ich schon loslegen. Gleichzeitig war mir klar, wie doof das klang. Eigentlich machte es keinen Sinn! Und mein Herz wusste längst: „Er hat ja recht!“
Ein paar Tage mussten aber doch erst noch vergehen. Die Hotelpreise stiegen und stiegen und waren wiederum eine gute Ausrede, nicht aufzubrechen. ¯\_(ツ)_/¯
In der Überzeugung, der mutigste Mensch der Welt zu sein, wollte ich schließclich doch das Hotel buchen, als auch schon das nächste Ungeheuer durch die Elbe angeschwommen kam: Hochwassergefahr! „Ich fahre doch nicht bewusst in ein Katastrophengebiet!“, regte ich mich nun auf. Und mein Freund verstummte.
Eventuell fuhr ich nur nach Dresden, um ihn zu ärgern.
(Zum Glück bin ich nach Dresden gefahren, um mir da einen schönen Geburtstag zu machen! Die Aktion kam dem wunderglaublichsten Synchronizitäten-Bingo gleich, bei dem ich von einer phantatischen Situation in die nächster stolperte: Sei es, dass ich Lieblingslied bei meiner Lieblingstemperatur begrüßt wurde oder zufällig an dem Treffpunkt für eine mittelalterliche Statführung saß, wo ich prompt zur Illuminati auserkoren und dafür fürstlich entlohnt wurde. Auch kam ich OHNE das dafür eigentlich übelst notwendiges Online-Ticket in die Caspar-David-Friedrich-Ausstellung!!11!1!)
Freiburg, Dresden – sonst nix in monatelanger Auszeit?
Abgesehen von wunderschönen acht Tagen in Freiburg und eineinhalb in Dresden – was übrigens beides gleichviel kostete, also eine halbe Bali-Reise –, war ich in meiner Auszeit in Kassel–Wilhelmshöhe und Hamburg.
Wie kommt man ausgerechnet auf Kassel?
Wenn man sich bei einem Insta-Post in die Anlagen von Wilhelmshöhe verliebt hat. Eine fancy Lichtshow sollte da auch noch stattfinden. Gebongt! (Wobei ich im Nachhinein froh bin, die Bergpark-Anlage auch zu Tageslicht komplett abgelaufen zu sein. Die alleine für sich ist schon so schön, dass ich die moderne Kunst dazu glatt als störend empfand.)
Von Kassel fuhr ich direkt weiter nach Hamburg zu einer ehemaligen Kollegin, die mittlerweile dort lebt. Auch dort war alles entspannt und schön. Wie es der Zufall so mochte, fanden genau während meiner Zeit alle wunderbaren Flohmärkte auf einmal statt.
Und dann ist da natürlich noch die Stadt Hamburg an sich, die für meinen Geschmack vermutlich schönste Metropole Deutschlands mit all ihrem Backstein, Franzbrötchen und lecker Essensmöglichkeiten. Wären die nur nicht so teuer und die Möwen so frech!
Ich muss Hamburg aber schon deswegen lieben, weil mein persönlicher Durchbruch dort passiert ist: Auf der Linie 62, dem Geheimtipp, um eine (mit dem Deutschlandticket) kostenlose Hafen-Rundfahrt zu machen, schallte es mit einem Mal leise vom Herzen hoch:
„Zuhause ist, wo ich bin!“
einfach so war der satz plötzlich da
Nicht, wo mein Zeug ist. Noch nicht einmal, wo meine Bücher sind. Und auch nicht, wo ich den Lichtschalter im Dunklen treffe. Ich hatte mich selbst gefunden.
Dann eben doch selbständig!?
Danach formierte sich immer stärker der Wunsch, mich selbständig machen zu wollen. Ohne eine Teilzeitstelle nebenbei. Was so viel vernünftiger wäre, wenn man mit den meisten spricht …
Mich spricht hingegen deutlich mehr an: „Stell dir mal vor, zum Freelancen für andere Agenturen nach Hamburg oder Dresden fahren zu können!“
Ich hatte mit den Reisen meinem inneren Monster nun oft genug die Stirn geboten. Der Frodo in mir wollte meeeeeeehr!
Gründen: bitte ja, aber wie?
Direkt nach meiner Heimkunft lag ich erst einmal mit Grippe flach. Supertoll in einer Auszeit! Danach näherte sich Weihnachten wie ein Känguru auf Speed in fünf Nummern zu großen Moonboots.
Zu dem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass ich, sobald ich mich bei der Agentur für Arbeit zurückmelden würde, mich mit dem Gründungszuschuss gewaltig würde sputen müssen. Deswegen wollte, ja konnte ich nicht planlos zurück. Und so richtig war mir immer noch nicht klar, womit ich mich selbständig machen wollte: Freiberuflich, gewerblich? Schreiben, designen? Uaaargh! Mein ewiges Dilemma seit ich elf bin.
„Ich will erst genau wissen, was ich will!“
vergiss es – so läuft das leben nicht! aktuellste erkenntnis

Spätherbst und Winter 2024/25 waren also geprägt von Grippe, Gründungsberatung, Weihnachten, Familie. Noch mehr Familie; ein erstes Mal bahnbrechendes Breathwork und permanent nebenbei Selbst-Evaluierung. Ich begann mit dem Weg des Künstlers, arbeitete wochenlang an meinem Ikigai, füllte die Inlays meines Lederlappen-Notizbuchs und mehrere Miro-Boards. Ständig 50/50!
Bis ich irgendwann kein Bock mehr hatte. Wichtig ist es doch, effektiv loszulegen! Einen neuen Kurs einschlagen kann man ja immer noch. Ich entschied mich für den freiberuflichen Weg – mit Design und Text, weil es mir am vernünftigsten erschien. (Heute, da ich dies schreibe, bekommt mich glatt die Sorge, dass da wieder nur mein ängstliches Ego am Zug war.) Aber klingt das nicht logisch? „Dieser Weg ist doch nur konsequent bei meinem Lebenslauf!“ Immerhin habe ich mein Design-Diplom und den ganzen Werdegang. Alles schön konsequent und von der Pieke auf gelernt! „Die lachen mich doch aus, wenn ich daher komme und sage, am liebsten würde ich den ganzen Tag nur schreiben!“, maulte ich bei einem Treffen mit ehemaligen Kollegen, und eine sah mich irritiert an. „Warum denn?“, meinte sie entspannt. Wird sie am Ende etwa Recht behalten? 🙈
Denn mit dem Personal Branding läuft es noch nicht so rund wie geplant. Obwohl ich ein wirklich tolles Konzept dafür ausgearbeitet habe! Weswegen ich hier an dieser Stelle auch mal ganz unverschämt unbezahlte #Werbung für mich selbst machen muss:
>> Zur auxkvisiteste Designerin & Autorin der Welt geht’s hier lang! <<
Von der Auszeit in die Frei-Zeit!
Als Selbständige habe ich nun erst einmal gefühlt gar keine Freizeit mehr. Bis in den Juni 2025 hinein hieß es: BWL-Basics büffeln, Businessplan schreiben, Termine penibel einhalten; die beschissenste Tabelle der Welt bezwingen. Steuerberater finden. Puuuh!
Am Ende habe ich alles geschafft!
Jetzt bin ich mein eigener Chef, und so beängstigend die Selbstverantwortung auch sein kann, so befreiend ist sie: Ein Jahr lang hat bei mir höchstens dreimal der Wecker geschellt. Wann und wo ich arbeite, ist egal, solange ich Internet habe!
Und jeden Tag lerne ich. Ich hatte zum Beispiel immer gedacht, selbständig zu sein wäre gleichbedeutsam damit, jeden Tag mit einem Hoppsatralala aus dem Bett zu springen. Dem ist leider (noch) nicht so. Dafür schimpft auch keiner, wenn ich einmal erst um 11 anfange zu arbeiten. Aber niemand schickt mich um 19 Uhr in Feierabend. Es sei denn, ich will!
Ja, es ist fucking anstrengend. Oft!
Ich habe immer noch Stress. Genügend! Aber der betrifft nur mich selbst. Mein Leben ist deutlich intensiver. Und eben genau für dieses Gefühl bin ich diesen Schritt gegangen: Um wieder mehr vom Leben zu spüren. Mich seinem natürlichen Fluss anzuvertrauen. Raus aus alten Strukturen, hin zum Leben. Hin zu mir.
Intensiv leben wollte ich, das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten, was nicht Leben war. Damit ich nicht in der Todesstunde inne würde, dass ich gar nicht gelebt hatte.
Henry David Thoreau, besser bekannt aus „club der toten dichter“
Auszeit, Reinheit oder Freizeit?
Jetzt bist du dran!
Hast du dir schon mal eine Auszeit gegönnt? Dich selbständig gemacht? Was waren deine größten Learnings? Auch wenn du mehr zu meinen einzelnen Reisen lesen willst, denn dazu gäbe es soooo viel mehr zu sagen und zu zeigen: Schreib es gerne in die Kommentare! ✍️