Schon vor Corona machte uns die Meinungsvielfalt die eigene Meinungsbildung schwer: Ein Artikel hier, ein Manifest da. Die eine Studie sagte das eine, die andere zum gleichen Thema etwas komplett anderes. Dazu gesellen sich noch bewusst einzeln gestreute Fake News. Was kann man da noch glauben? Oder erst recht wissen? Plötzlich wird eines immer lauter: das Nichtwissen.
„Ich weiß, dass ich nicht weiß.“
Diesen schlauen Philosophen-Spruch tackern sich derzeit die Klügsten an die Brust. Vor allem die wirklichen Fachleute, also genau die, die es doch am ehesten wissen müssten, sagen ganz offen: „Sicher weiß man gerade gar nichts“. Was heute Stand der Dinge ist, kann morgen schon wieder ganz anders aussehen.
Und das macht Angst, verdammt viel Angst: Wenn plötzlich niemand mehr wirklich Bescheid weiß. Wir, die westliche Gesellschaft, die sich immer so top informiert und so aufgeklärt wähnte, wir wissen auf einmal – nichts. Und nicht nur das, auch die Sicherheit in den elementarsten Fragen steht auf fohlenmäßig wackligen Beinen da: Geld. Gesundheit. Gesellschaft. Hier Unsicherheit. Dort Unsicherheit. Und da ganz besonders! Angenehm ist etwas anders. Was machen viele nun am liebsten, wenn sie Angst haben? Es sich nicht eingestehen. Und über alles andere reden.
Keiner weiß was, aber jeder redet mit
Diese Zeit ist, wie sie ist, schon anstrengend genug: Jeder wird auf seine Weise aufs Elementarste zurückgeschmissen, Emotionen kollern Richtung Keller, bei mir befinden sie sich in einem stetigen Auf und Ab. Zumindest habe ich eines schnell in den Griff bekommen: Mein Nichtwissen zu akzeptieren. Und dann auch recht schnell: Es auch zu praktizieren.
Da die Kommunikation rund um Corona schnell in Streiterei ausgearten kann, habe ich mich komplett ausgeklinkt. Natürlich habe ich eine Meinung dazu, die ich mir selbst so zusammengeschustert habe, wie sie mein Gehirn für sich und mich, eben das „System Miriam“ als sinnvoll erachtet. Denn irgendeine Wahrheit bastelt sich natürlich jeder zusammen, jetzt und übrigens sonst immer auch, weil das Gehirn sonst zusammenbrechen würde: Unser Kopf fordert Kohärenz, Sinn, will verstehen. (Ausführliche Erklärung hierzu auf Wikipedia) Also, nochmal: Wieso sollte ich nun mit meiner Meinung ständig herumkrähen?
Denn meine Meinung ist nur meine kleine Meinung.
Ein Resultat aus meiner gefilterten Wahrnehmung.
Nicht mehr. Und nicht weniger.
Wenn Wahrnehmungen kollidieren
Ich erinnere mich gut an einen Streit vor vielen, vielen Jahren in meiner Familie. Den Grund dafür habe ich längst vergessen. Nicht jedoch den Spruch meiner Schwester, mit dem die Diskussion auf einen Schlag beendet war: „Dann ist das in deiner Wahrnehmung eben so!“ Schockierte Blicke, mir lag ein schnippisches „Damit machst du es dir aber einfach!“ bereits auf der Zunge, aber jeder fühlte: Verdammt, sie hat ja echt Recht damit.
So unterschiedlich, wie Menschen aufwachsen, geprägt werden, Dinge erleben, ja ihr ganzes Leben meistern, ist es ein Wunder, dass sie überhaupt miteinander zurechtkommen. Jeder von uns erlebt anders, fühlt anders, versteht anders. Was für einen richtig ist, kann für den anderen grundverkehrt sein.
Und der, der etwas in meinen Augen Grundverkehrtes sagt oder macht, wird sich in den seltensten Fällen denken: „Oh, jetzt liefere ich mit Absicht aber mal so richtig Bullshit ab!“ Er handelt nicht aus Nichtwissen – in seiner Welt ist das durchaus richtig. Und wer sind wir denn, dass wir behaupten könnten, er wüsste es nicht? Wissen wir es denn besser? Wirklich?
Was können wir jetzt also machen?
Wir können mit unserer individuellen Wahrnehmung, unserem vermeintlichen Wissen Nichtwissen und Wahrheiten rund um Corona um uns schmeißen und uns mit den anderen Leuten fetzen und jedem damit die Stimmung oder den Tag versauen, oder …
wooohooo …
… wir können einfach mal die Klappe halten.
…
Stille, gespondort von auxkvisit.de (angenehm, ne?)
Nicht, weil wir uns die Meinung verbieten lassen, das natürlich nicht.
Schweigen = aktiv gelebtes Nichtwissen
Wenn man schon zu Beginn weiß, dass die aufkeimende „Diskussion“ zu nichts führen wird (und Butter bei die Fische, das spüren wir doch oft genug), kann man sich und dem anderen einen Gefallen tun und gar nicht erst weiter auf das Thema eingehen. Probier’s mal aus. Ich möchte dir glatt eine angenehme Verschnaufpause garantieren – in jedem Falle, dass es sich angenehmer anfühlt, als immer zu labern-labern-labern.
Ist irgendjemandem mit dieser Meinung jetzt geholfen?
wenn die antwort nur “mein eigenes ego” ist: klappe halten.
Wie wäre es, stattdessen über etwas Schönes, Gutes, Verbindendes zu sprechen. Oder den anderen zu fragen, wie er sich die Zeit nach Corona wünscht. Ihm eine Runde Meditation vorschlagen oder einfach das letzte lustige Katzenvideo zeigen. Aufheitern, ablenken, Annehmbares teilen statt Aggros schieben – das mag kurzfristig naiv, oberflächlich und wenig intelligent wirken. Aber man muss auch nicht ständig superclever sein.
Aber obacht: Man könnte dich dann schlimmstenfalls für weise halten. Denn gerade weise Leute verraten sich oft dadurch, dass sie, wenn alle wild herumschreien, am wenigsten sagen. Denn sie wissen nicht nur, dass sie nicht wissen, sondern dass man dann am besten auch mal einfach nichts sagt.
Ach, und wenn du dich fragst, was der Pinguin auf dem Titelbild damit zu tun hat: Anbei ein wunderbares Meme aus längst vergessenen Zeiten (daher auch die wunderbare Bildqualität) …
PS: Klappt auch mit anderen Themen.
PPS: Ich lerne auch weiterhin fleißig – und bin schon wieder still.
Titelbild: Alexander Krivitskiy (Unsplash)