Liebes Instagram,
lange Zeit warst Du eine meiner Lieblingsplattformen: Bei Dir ging es einfach um Bilder. Die User waren freundlich und sind es immer noch. An ihnen liegt es nicht, dass ich Dich plötzlich nicht mehr mag. Hass in den Kommentaren, wie sie sonst online schnell passieren, sucht man auf Dir vergeblich.
Alles ist „Oh, so beautiful!“ und „Awwwww“! Nun könnte man Dich für diese Oberflächlichkeit hassen. Aber so schlimm sind diese zumeist nur kurz angerissenen Kommentare gar nicht, weil man zu schönen Bildern eben nicht viel mehr sagen kann. Nicht in dieser kurzlebigen Zeit und schon gar nicht, wenn man den Photographen kaum kennt. (Da müsste man ja aus der eigenen FilterBubble* raus, igitt.)
Man könnte Dich, liebes Instagram, natürlich auch deswgen zur Seite stellen und ordentlich zur Schnecke machen, weil all Deine schönen Bilder immer noch gleicher und belanglos-gelackter aussehen. Ein altes Problem, weil einige meinen, was bei anderen funktioniert, funktioniere auch bei ihnen. Das kann mir egal sein, weil ich solchen Accounts nicht folge.
Ich hasse Dich, liebes Instagram, für Deinen beschissenen Algorithmus. Pardon: Algoshitmus.
Das ist der Algoshitmus,
bei dem jeder mit muss.
An einem Sonntag traf ich einen Freund, F. Wir sahen uns im Thalia die „Wilde Maus“ an und unterhielten uns danach bei Falafel, Tee und Bionade über den Film. Zwischen zwei Happen gegrillte, leicht lätschige Paprika fiel F’s Frage, ob ich aktuell auch so Probleme mit Instagram hätte. „Welche Probleme?“, fragte ich, verteidigte Dich, liebes Instagram, noch, schluckte das lätschige – aber leckere! – Stück Paprika hinunter, spülte mit prickelnder Brause hinterher und sah in meine Timeline. Und da bemerkte ich es:
- Bild: Gepostet vor 2 Stunden.
- Bild: Gepostet vor 4 Tagen.
- Bild: Gepostet vor 40 Sekunden.
- Bild: Gepostet vor 7 Tagen.
Liebes Instagram, wie lange betrügst Du mich schon? In meiner naiven Vorstellung zeigtest Du mir die Bilder chronologisch sortiert. In dem Moment, als es Deine Ungeheuerlichkeit und Dreistigkeit bewusst wurde, begann ich Dich zu hassen.
Der neuste Scheiß!
Nun: Natürlich ist es keine Scheiße, was die Leute posten, denen ich folge, sonst würde ich ihnen ja nicht folgen. Aber ich habe mir im Lauf der nun etwas über zwei Jahre auf Instagram eine bunte Mischung für meine Timeline zusammengestellt: Freunde, näher und ferner Bekannte, andere Blogs, komplett Unbekannte, Augsburger, irgendwelche Kunst- oder Design-Seiten, Zeitungen, Illustratoren, Museen, Streetart-Accounts – was mir eben so gefällt. Das alles weißt Du, Instagram. Und Facebook und die NSA vermutlich auch: „Oh, @auxkvisit folgt nun drei Streetart-Accounts! Die mag das. Jetzt zeigen wir ihr NUR NOCH STREETART!“
Also freue mich noch über zwei grandiose Kunstwerke auf südamerikanischen Wolkenkratzern und in versifften Berliner Industrie-Ruinen. Das dritte Bild: wieder Streetart. Mein ganzer Stream ist auf einmal voller Streetart. Zwar von vor drei Wochen, aber was macht das schon – ich muss es ja wohl mögen. Was ich nicht mag, sind die Zornesfalten und das Gefühl der Ohnmacht, das mir das macht.
Instagram, Du nervst!
Ich beginne, mich zu langweilen, ja, das eben noch so begehrte Motiv zu hassen.
(2017 hasst man ja gleich alles, was nur ein bisschen nervt. Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist klein, die Nerven hauchzarte Seidenfäden, wir flippen aus, wenn etwas nicht sofort funktioniert. Zeit ist viel zu viel und gleichzeitig gar nichts mehr wert. Statt Auseinandersetzung – viel zu aufwändig! – folgt „Hass“. Das Dumme ist, dass wir keinen Begriff mehr haben, wenn wir mal wirklich hassen. Das ist dann wohl der Moment, in dem viele direkt draufhauen.)
Ich werde nervös, genervt, ja latent aggressiv, wenn Du mir auf einmal nur noch Schnörkelschriften zeigst, weil ich vor Kurzem bei der #handletteringattack (eine Intiative von Frau Hölle) mitgemacht habe. Du zeigst Dich ansatzweise gnädig und mir Neues, wenn ich ein paar Mal auf Aktualisieren drücke, aber mittlerweile lässt Du Dich auch nur noch zweimal austricksen. Dann bleibt alles so stehen, wie Du meinst, dass ich es mag.
Wo sind die Bilder von den lieben Freunden, was haben die in den letzten Stunden gepostet, wo finde ich das? 21 Daumenschwupps weiter unten vermutlich. Dafür habe ich aber weder die Zeit noch Geduld. Die liebsten Leute klicke ich jetzt also gezielt an, und Du, liebes Instagram, juchzt auf und zeigst mir nun wieder vermehrt diese Leute. Aber wo bleiben die anderen?
Du missverstehst außerdem eine schlimme menschliche Eigenschaft.
Du, liebes Instagram mit deinem shitty Algorithmus, missverstehst zudem eines und verhältst Dich damit wie Dein großer Bruder Facebook: Nicht alles, was wir klicken, suchen und anschauen bedeutet, dass wir es auch mögen. Manchmal haben wir nur einen schwachen Moment und wollen lästern. Das hat dann etwas von der Unart, bei einem Unfall zusehen zu müssen: „Was Cindy da wieder für einen Blödsinn gepostet hat, hahahaha! Schau mal. Hier, da, diese fünf letzten Posts, wie un-heim-lich blööööööööd!“
Oder wir haben einen schwachen Moment und stalken dem Ex hinterher. Auf einmal wird haben wir nur noch Cindy und den Ex vor der Nase. Mit etwas Pech auch deren Freunde. So war das Stalky-Stalky nicht gedacht. Da führt uns Dein Algoshitmus unser eigenes blödes Verhalten deutlich vor die Nase.
Erziehungsauftrag erfolgreich!
Mittlerweile meine ich ansatzweise verstanden zu haben, wie Du so tickst, liebes Instagram (& Facebook). Folge ist, dass ich mich anders verhalte: Ich klicke und folge nur noch, was mir wirklich gefällt und gut tut. Das fühlt sich unfassbar angenehm und befreiend an. Vielen Dank dafür.
Nur wird somit der Radius meiner Filterblase immer enger. So eng, dass es mir den Hals abschnürt. Dass Du mein Verhalten zu beeinflussen imstande bist, stört mich, liebes Instagram: Ich will ansehen können, was ich ansehen will, ohne dafür mit Algoshitmus-Konsequenzen bestraft zu werden. Spül mir die Postings bitte wieder chronologisch sortiert in meine Timeline, damit ich selbst auswählen kann, was ich ansehen oder liken kann – und was nicht. Wobei ich mich jetzt auch kaum mehr etwas zu liken traue. Denn das hat ja auch Konsequenzen …
Like? Vielleicht lieber nicht.
Mittlerweile überlege ich zweimal, was ich like. Manchmal sind mein „Oh, wie toll!“ und mein Daumen schneller – und schwupps, ist das Like vergeben. Und ich schlage die Hände entsetzt vors Gesicht: Verdammt! Ich habe einen Erdbeerkuchen geliked. Ich werde in den kommenden Tagen Billionen Erdbeerkuchen, -törtchen, -cupcakes, -muffins und Werbeanzeigen von Kondomen mit Erdbeergeschmack serviert bekommen.
So funktioniere ich aber nicht. Und viele andere User auch nicht, liebes Instagram. Wir wollen Abwechslung: Kiwi, Apfel, Melone, das ganze Programm. Du weißt schon. Ach, wohl eher nicht.
Der Algoshitmus führt Dich ad absurdum, liebes Instagram.
Ich bewege mich auf Dir nur noch vorsichtig und viel zu wenig, liebes Instagram. Momentan logge ich mich nur noch ein, wenn ich etwas poste, like schnell ein paar hübsche Bilder und haue dann ganz schnell wieder ab. Und ich habe das Gefühl, ganz vielen anderen geht es genauso. Gemütlich viertelstundenlang in die Timeline voll unterschiedlichster Bilder von unterschiedlichen Leuten und Accounts abtauchen, unterschiedliche Impressionen und Inspirationen sammeln, das geht jetzt ja nicht mehr. Die Vielfalt fehlt und der soziale Gedanke, sofern da jemals einer war, ist dahin.
Viel zu oft halte ich jetzt inne und verteile nur noch mit Bedacht meine Herzchen. Mein Kopf und Bauch handeln stundenlang miteinander aus, ob wir alle damit leben können, wenn dieses eine Like unsere Timeline für die nächsten fünf Jahre versaut beeinflusst. Geliked wird also nur noch mit Kalkül – weil das ja auch so unheimlich viel mir ehrlicher Reaktion, Resonanz und aufrichtigem Mögen zu tun hat.
Wolltest Du nicht mal das Gegenteil, liebes Instagram? Ist das jetzt unser Ende?
Gespannt auf Deine Antwort,
*Filterbubble Definition auf Wikipedia
PS: Wenn Du Dir, lieber Leser, Deine Timeline für jetzt und alle Ewigkeit mit meinen Bildern bereichern respektive versauen willst („Wohooo, die auxkvisit hat wieder ne Katze geknippst, die olle Crazy Cat Lady!“), klick jetzt hier ➳ @auxkvisit. Da gibt’s viele Impressionen aus Augsburg und ich bemühe mich, in diesem einen Account möglichst viel Vielfalt einfließen zu lassen. Liebes Instagram – haha, ausgetrickst!
2 Kommentare
So ist es 😀
Dankeschön, Sibylle!
Und jetzt erst einmal ganz schöne Weihnachten & Feiertage 🎄