„Mr. Robot“ wird derzeit heiß diskutiert und hoch gelobt. Bei den Golden Globe Awards erhielt die Serie vor wenigen Tagen gleich mehrere Preise: Beste Serie (von Sam Esmail), bester Hauptdarsteller (Rami Malek) und Nebendarsteller (Christian Slater). Der noch bedeutsamere Ritterschlag: Edward Snowden soll ihr größter Fan sein. Da muss doch was dran sein.
Was macht den Reiz dieser Hacker-Serie aus? Hoffen wir dort Antworten oder zumindest Einblicke zu finden, wie es um die Sicherheit und den Schutz unserer Daten bestellt ist? Liefern uns in Mr. Robot die hochintelligenten Hacker Antworten auf unsere Fragen – oder, noch viel spannender: Welche Fragen und Ambitionen haben sie?
Es folgt: Meine Kritik. Es kostet mich unglaubliche Beherrschung, nicht zu spoilern; ich werde hier aber nicht mehr verraten, als in der ersten Folge passiert. Sicher beeinflusst mein Gesamteindruck meinen Eindruck, und ich werde Euch gerne verraten, was diese Serie grundsätzlich so grandios macht, aber ich werde Euch nicht verraten, dass … oaaaah … !!! Schaut Euch die Serie an und lasst uns irgendwann drüber reden, bitte! Aber nicht en Detail hier in den Kommentaren, gell.
„Mr. Robot“ ist so viel mehr als eine Hacker-Serie.
Elliot verkörpert den „typischen Hacker“: Blass, Augenringe, ein Junkie im schwarzen Kapuzenpulli, hochintelligent und mindestens sohiophob. Aber anstatt am Rand der Gesellschaft oder unter ihr zu verschwinden, tut er Gutes: Nachts hackt er Kriminelle und demaskiert z. B. Kinderpornoringe. Tagsüber arbeitet er – wie passend! – in einer IT-Sicherheitsfirma.
Auch wenn sich Elliot gegen Berührungen sträubt und die Menschen zu schnell durchschaut, als dass er sie noch vorbehaltlos mögen könnte, sucht er ihre Nähe, wenn auch nur in Form ihrer Daten. Er selbst ist zutiefst zerrissen und zerbricht fast am Alleinsein. Seine inneren Dämonen können wir anfangs nur erahnen – er hat als kleiner Junge seinen Vater verloren. Sein bester Freund ist nun ein Imaginärer, zu dem er regelmäßig spricht. Er flüchtet sich in Morphium, aber nur in Kombination mit dem entsprechenden Gegengift. Rausch unter Kontrolle, Hacken und Schützen – Elliot lebt in einem intensiven Spannungsfeld. Fühlt er sich so wie die Speicherkarten, die er in der Mikrowelle zerstört? Anstatt aber sich mit sich selbst ehrlich auseinanderzusetzen, geht Elliot lieber den ganz großen Fragen nach: Was geht in unserer Gesellschaft vor? Im Fokus seiner kritischen Beobachtung: Multikonzern E Corp, „Evil Corp“, die auch maßgeblich am Tod seines Vaters schuld sein sollen.
So allein, wie er glaubt, ist Elliot aber gar nicht. Seine sozialen Konstanten nennen sich Shayla, seine Dealerin; seine Psychiaterin analysiert eher er als umgekehrt und da ist immer noch Kinderfreundin und heimliche Liebe, Angela, die er jeden Tag in der neuen Arbeit sieht. Ihre Freundschaft droht jedoch zu zerbrechen, als Elliot überraschend in die Hackergruppe fsociety rund um den mysteriösen Mr. Robot abtaucht. Zusammen haben die Hacker ein Ziel: E Corp zu Fall zu bringen. Was, wenn man Evil Corp, ja das gesamte Finanzsystem weltweit lahmlegen würde? Fuck society, viva la revolución!
Natürlich darf ein würdiger Gegner nicht fehlen: Tyrell, der eiskalte Business-Schnösel mit Husky-Augen, ein hohes Tier in der Firma, die Elliot in seinem Joballtag seit Kurzem betreut. Zufällig heißt diese E Corp …
Spannende Story & super Style
Klar: Die Story ist dramatisch, faszinierend, super-spannend und das Thema top aktuell. Mr. Robot behandelt die Hacker-Szene ebenbürtig. Hier wird gar nicht erst versucht, dem Zuschauer umständlich quasi nebenbei umständlich zu erklären, was zum Beispiel Malware ist. Wir Normal-User verstehen bei Mr. Robot nicht alle technischen Details – müssen es aber auch nicht. Ihre Tragweite kapieren wir auch so.
„Mr. Robot“ anzuschauen kommt einem intensiven Sturz gleich: Unter die Gesellschaft. Wir graben an den Wurzeln der Ungerechtigkeit und sehen Elliot dabei zu, wie er sich dabei verzweifelt abrackert. Und wir tauchen ein in die Tiefe der Psyche. Ein intensiver Sog – die zehn Folgen der ersten Staffel habe ich regelmäßig mit meinem Abendessen verschlungen. Oder auch mal drei am Stück. Folgen, nicht Essen, natürlich. „Mr. Robot“ ist nicht nur ein spannender, gut portionierter Thriller, sondern ein faszinierendes Psychogramm.
Zudem werden immer wieder Fragen aufgeworfen, wie wir sie aus Matrix kennen, wobei Mr. Robot die Rolle von Morpheus übernimmt. Elliot muss sich nicht zwischen einer roten und blauen Pille entscheiden, sondern ob er eine 0 oder eine 1 ist. Code und Philosophie – why not? Nach seinem ersten Besuch bei fSociety (Fun Society oder vielleicht doch Fuck Society?) zweifelt Elliot an seinem Verstand: War das alles real? Wenn ja: Auf welche Seite soll er sich stellen? Zu welcher Seite will er gehören? Ist er der Typ mit einem Coffee to Go in der Hand, der glückliche Fotos postet und Likes verteilt? Elliot ist nicht mal bei Facebook, er hasst es, wünscht sich aber immer wieder, beschränkt genug zu sein, dazuzugehören. Oder will er das System, das ihn so anwidert, lieber stürzen? Aber kann er das überhaupt? Wie wichtig ist seine Person, seine Existenz? Wenn er es schon nicht alleine schafft, dann vielleicht mit fsociety?
Das Erzähltempo ist dabei unglaublich schnell und entspricht Elliots Gedankengängen. Nach einem Sekundenschlaf (nicht, weil es langweilig war!!) habe ich absolut nichts mehr verstanden; ich lief also zum Rechner, spulte zurück und vergewisserte mich gleichzeitig, ob meine Webcam immer noch sicher abgeklebt ist. Angst macht „Mr.Robot“ mit seinen Enthüllungen nicht, es zeigt nur auf, was wir längst ahnen. Es sollte uns eher Angst machen, dass es uns keine Angst macht.
Manche Kameraeinstellungen nehmen zum Glück wieder das Tempo heraus: Da wird immer wieder zu lange auf vermeintlich unwichtige Details gehalten. Spannend und schön: Die wichtigsten Bilddetails, vor allem Köpfe, landen gerne weit, weit am Rand. Die Blickrichtung: ins Nirgendwo. „Mr.Robot“ baut auch visuell nur sparsam Nähe auf.
Wie authentisch die Darstellung von fSociety in ihrem geheimen Revier auf Coney Island ist, können wir nur ahnen. Der stillgelegte Vergnügungspark bildet in jedem Fall einen fantastischen Kontrast. Alles fühlt sich stimmig an und sieht, wie sollte es in New York anders sein, grandios aus. Leute, die abgefuckte, versiffte Ecken lieben, also Auxburger Grunge hoch siebzehn, werden in das Setting von Mr. Robot einziehen wollen. Vielleicht aber lieber ohne den Köter, der aufs Bett scheißt.
Ebenso wild und rebellisch ist der Style: Hacker haben keine Föhnwellen, und trüge Darlene, das coolste Hacker-Girl der Welt, nicht kiloweise Kajal, sähen wir auch bei ihr tiefe Schatten unter den riesigen Augen. Elliot verschwindet fast die ganze Serie über in und unter einen schwarzen Hoodie, er beherrscht alle verwaschenen Schwarz-Nuancen. Die glattgebügelten Antagonisten und auch das kindlich-naiv anmutende Püppchen Angela formen einen unwirklichen und vergleichsweise unsympathischen Kontrast. Dieser kulmuliert in der unglaublich schönen und gleichzeitig so abartig bösen Ehefrau Tyrells. Charismatisch sind sie alle, das Casting hat ein gutes Händchen bewiesen, alle Rollen sind grandios besetzt. Dass alle ebenso spielen, halte ich für absolut unnötig zu erwähnen.
Für eine runde Sache sorgen auch die Titel der einzelnen Folgen: Wer irgendwann eine DVD-Box von Mr. Robot besitzen sollte, darf nicht erschrecken, wenn er dann „eps1.0_hellofriend.mov“ zu lesen bekommt. Das ist kein Bug, die Folgen heißen so.
Auch der Soundtrack passt: Mal cool elektrisch, mal ganz klassisch mit Beethoven, er untermalt nur, anstatt sich aufzudrängen. Und plötzlich dringt Pixies „Where is my mind“ in der Piano-Version an unser Ohr. Zufall, die Anlehnung an Fight Club? Hören wir uns jetzt doch zum Ausklang etwas Beruhigendes an.
Auxkvisites Fazit
Während oder gerade weil ich in den letzten Jahren kein Serien-Junkie war, war ich von Mr. Robot schneller abhängig als Elliot vom Morphium. So spannend, so düster, schön gemacht, innovativ und intelligent! So süchtig war ich das letzte Mal vor vielen Jahren nach LOST oder natürlich nach Braunschlag. Nach LOST dachte ich, niemals wieder von einer Serie so überrascht werden zu können. Denkste!
Mein einziges Problem: Ich habe keine Gegendroge und mein Dealer rückt keinen Nachschub raus.
Für Fans von:
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