Wird Bekanntes, Gewohntes, ja fast schon in Vergessenheit Geratenes so ins Jetzt transportiert, dass es zusammen mit der Zukunft im kleinsten Punkt zusammenfließt, explodiert etwas, und in diesem Raum entsteht das Potenzial für etwas komplett Neues. Ein kläglicher Versuch, das Konzert von Oum Shatt in der Soho Stage zu beschreiben. Lasst es mich lieber mit ein paar Zeilen mehr probieren.
Oum What?
Oum Shatt.
„Die Band um Jonas Poppe“ heißt es da schnell, wenn man recherchiert. Coole Berliner Jungs wären sie, elends lässig und würden wirken, als wären sie just einem Arthouse-Film entsprungen. Hört man Oum Shatt mit gebührender Lautstärke, wird das schnell mit einem „Was hast du denn geraucht“ quittiert: Hier mischen sich psychedelische und orientalische Klänge mit originärem Rock’n’Roll. Manchmal fügen sich elektronische Sounds ins Klangkonstrukt. Nennt man das 2017 Indie-Pop? Für Oum Shatt das passende Kategorie-Kistchen zu finden ist schwierig; lassen wir es also einfach. Ihre Musik ist in jedem Fall eines: groß.
Auf ihrem Konzert in der Soho Stage am 23. Februar in Augsburg haben die Jungs von Oum Shatt gezeigt, dass sie gar nicht so artsyfartsy-versnobt sind, wie man es vermuten könnte. Natürlich sind es vier spezielle Typen, die zweifelsohne sofort ihre Rollen in einem Film von Jim Jarmusch spielen könnten. Aber sie sind nahbar. Sogar so sehr, dass sie nach dem Konzert selbst ihre Alben und T-Shirts verkauft haben. In der Soho Stage, dem Club in der Größe eines etwas größeren Wohnzimmers, fühlt sich das ganz selbstverständlich an. Und übersehen wir bei all dem großen Berliner-Indie-Jungs-Ding mal bitte nicht, dass Drummer Chris Imler gebürtiger Augsburger ist (Neugierige klicken hier zu seinem Video „Dark Spot Of Joy“).
Aber kommen wir jetzt zum Wichtigsten, der Musik von Oum Shatt.
Wie Oum Shatt so klingt?
Die Jungs von Oum Shatt mischen also Altes: Die Gitarren lässig schlotzig, der Rhythmus instant treibend, Jonas’ Stimme schwebt leicht blasiert darüber und verbindet sich im nächsten Moment kraftvoll mit den Instrumenten. Der Zuhörer befindet sich in einem Londoner Untergrundclub, trägt wie die Jungs auf der Bühne schmale Anzüge. „Power to the Woman of the Morning Shift“ und „Madame O.“, aber auch „Trains, Trains, Trains“ sind ein modsmäßiger Spaß. Auch wenn sich in letzteres bereits Töne klinken, die auf den experimentierfreudigen Charakter der Band rückschließen lassen. Wir rutschen ein paar Jährchen weiter.
„Hot Hot Cold Cold“ katapultiert uns weiter. Spielen hier Joy Division? Punk kann Oum Shatt also auch. Aber sie wären nicht Oum Shatt, würden sich hier nicht wieder orientalische Klänge und Rhythmen hineinschleichen. Was in „Bangladesh“ und „Ya Ya Ya“ kulminiert und spätestens jetzt klar macht, dass sich Oum Shatt nicht nur von anderen Zeiten, sondern auch anderen Orten inspirieren lässt. In unserem Londoner Untergrundclub findet nämlich gleichzeitig ein orientalischer Bazar statt. Zwischen die Rauchschwaden mischt sich der Duft von Zimt und Kreuzkümmel.
Bei Oum Shatt verbinden sich die arabisch-orientalischen Klänge so selbstverständlich mit der restlichen rockigen, energiegeladenen Musik, dass man sich fragt: Warum nicht vorher so? (Natürlich gab es das vorher: Man denke z. B. nur an George Harrison. Aber zwischen den Beatles und jetzt ist leider doch ein wenig Zeit vergangen.)
Bei Oum Shatt wirkt die Verbindung zwischen Orient und Westen, vergangenen Jahrzehnten und heute so in sich stimmig und schlüssig, dass man beim ersten Mal Hören – und auch danach immer wieder – nur staunen kann. Mir wurde in der ersten Sekunde damals gleich klar: Hier höre ich etwas komplett neues, anderes, verdammt gutes. Innovativ und vertraut. Optimistisch und nachdenklich. Strange, merkwürdig, experimentell – und gleichzeitig so klassisch back to the roots.
Und Oum Shatt in der Soho Stage?
Kennt man das Album, geht man natürlich mit großen Erwartungen aufs Konzert. Man wird nicht enttäuscht, im Gegenteil. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, Oum Shatt in der Soho Stage wären „live besser“ – es ist eben anders. Mit der Attitüde, den herrlich weirden Moves von Jonas und dem Spirit auf der Bühne, der sich im Nu sofort aufs Publikum überträgt, ist Oum Shatt live in jedem Fall ein Erlebnis.
Und das für alle Generationen: Im Publikum fanden sich Enkel, Eltern, Großeltern. Oum Shatts Musik verbindet, und so gut, wie Oum Shatt in der Soho Stage dies hinbekommen, kann man nur hoffen, dass das nächste Album nicht lange auf sich warten lässt.
Dass scheinbare Gegensätze sich so sinnvoll verbinden, diese Erkenntnis brauchen wir heute vielleicht mehr als früher, in dem Londoner Untergrundclub. Und mehr von der Lässigkeit, relaxten Euphorie und Experimentierfreude.
Oum Shatt auf Tour
Wenn Ihr jetzt auch mal Oum Shatt live sehen wollt: Sie touren aktuell. Unter anderem in Ulm heute Abend. Sucht nach weiteren Tourdaten am besten selbst. Der Termin in Augsburg wurde auf den üblichen Seiten gar nicht erst erwähnt, warum auch immer.
Fakten & Infos
Oum Shatt: Jonas Poppe (Ex-Kissogram), Chris Imler („Don Corleone of Berlin rock’n’roll“), Jörg Wolschina (Der Elegante Rest), Richard Murphy (Michael Knight)
/ Snowhite Records
Oum Shatt ist auch auf Facebook – Spotify – Instagram – Twitter – Tumblr – Youtube
Da findet Ihr übrigens auch Auxkvisit: Auf Facebook – Instagram – Twitter – Tumblr (auf Youtube gibt es nur ein langweiliges Katzenvideo)
Titelbild: Nach dem Konzert im Kreuzweise Augsburg. Direkt beim Konzert habe ich natüüüürlich alle 3 Bilder verwackelt, weil ich mich nicht lange mit „dem perfekten Foto“ ablenken wollte. Aber ich kann Euch eins von der Diskokugel in der Soho Stage bieten.
Eintritt: Selbst bezahlt, Artikel einfach so, weil ich sie mag. „Anzeige“ steht hier nur, weil das formal so muss. Meine Meinung ist unbezahlt.