Hinterhöfe haben ihren ganz eigenen, geheimnisvollen Charme – und gibt es in Augsburg zuhauf. In der engen Altstadt verbergen sie sich hinter mal schmiedeeisernen, mal wuchtigen Holztüren. Glücklich der, der einen Blick hinein erhaschen kann, wenn eine Türe mal zufällig offen steht. Im Bismarckviertel hingegen stehen die imposanten, zumeist viergeschössigen Altbauten meist locker platziert. Da sind Gärten ums Haus herum und damit auch Hinterhöfe schon fast obligatorisch. Aber traut man sich da „einfach so hineinspazieren“, auch wenn man ahnt, was sich da Wunderhübsches verbirgt? Wohl eher nicht. Ist ja ein Privatgrundstück, und auch ohne Tor davor gibt es da doch eine unsichtbare Sperre.
Wieso gibt es einen Hinterhof-Flohmarkt?
Hofflohmärkte laden dazu ein, gegen diese unsichtbaren Wände zu laufen, ja, sie einzureißen: Nachbarn und Einwohner sind herzlich dazu eingeladen, die Hinterhöfe zu betreten und die Leute kennen zu lernen. Dass man auf dem Flohmarkt stöbern will, ist zwar natürlich der originäre Anlass, wird aber schnell zur Nebensache.
Tatsächlich zählt der soziale Gedanke hier viel mehr, als sein Geraffel los werden zu wollen. Oder Neues mit nach Hause zu nehmen. Wobei das natürlich auch fein ist: Dinge erfahren eine neue Wertschätzung und der ewige Kaufkreislauf wird unterbrochen. Man bedient sich lieber am Vorhandenen und teilt mit Nachbarn bzw. lieben Leuten, anstatt einem Weltkonzern das Geld in den Rachen zu schmeißen. Hier sind Flohmärkte noch echt und authentisch: Nur eigene Sachen werden verkauft. Händler, wie auf großen Flohmärkten sonst üblich, gibt es hier keine. Ausführliche Gedanken zum sozialen Aspekt und warum solche Aktionen so wichtig sind, findet Ihr im letzten Absatz. Dort meldet sich Lisa zu Wort, mit der ich gestern unterwegs war.
Der Hinterhof-Flohmarkt im Bismarckviertel am 18. Juni 2016 war eine private Organisation von Obie Obermeier, Mara Weil, Lea Demirbas und Marlene Kröhnert. Er entstand als Alternative zum Bismarckstraßenfest, das dieses Jahr leider ausfällt.
Das Bismarckviertel in Augsburg
Andere Viertel würden sich vielleicht denken: Gut, dann fällt das Straßenfest eben aus. Andere Viertel denken vielleicht auch gar nicht, weil sie gar nicht erst ein Viertel-Bewusstsein haben; da wohnen die Leute einfach zufällig oder notgedrungen nebeneinander.
Das Bismarckviertel ist aber eben nicht nur das auf jeden Fall architektonisch schönste Viertel Augsburgs. Dort leben auch Leute, denen ihr Viertel wirklich etwas bedeutet. Vielleicht ist es auch deswegen so schön, weil diese Liebe fürs Viertel die Vibes dort ausmacht und alles ein bisschen liebevoller abgeht als in der restlichen Stadt. Der Hinterhof-Flohmarkt lief nicht umsonst unter dem Motto „LOVE IS IN THE HOOD“.
In diesem Viertel ist Augsburg großstädtisch und gleichzeitig herzlich. Von den sonst so oft typischen Scheuklappen merkt man hier nichts. Ganz im Gegenteil: Nachbarschaftlicher Verbund scheint im Bismarckviertel Normalität zu sein. Lisa erzählt, dass sie oft den Nachbarn einlädt, wenn sie zu viel gekocht hat. Wenn ich in meinem Senkelbach-Viertel hingegen vor meinem Urlaub mein restliches Gemüse an Nachbarn abgeben will, kann ich froh sein, wenn die Tür überhaupt 5 cm weit geöffnet wird. Ich wurde angesehen, als würde ich versuchen, etwas Vergiftetes oder Kokain loswerden zu wollen. Schließlich hat sich mein neuer italienischer Nachbar um meine Zucchinis und Karotten erbarmt.
… das beste Viertel?
Was macht das Bismarckviertel aber nun so viel „besser“? Es hat zweifelsohne eine junge, lebendige, stylishe Szene. Fühlt man sich wohler, wenn man ständig von den schönsten Prachtbauten umgeben ist? Verblendet Stuck den Blick? Überall gibt es Rosensträucher in den Gärten, Katzen huschen herum und die Dichte an jungen Familien mit Dreijährigen an der Hand ist auffallend hoch. Sind die Bewohner im Bismarckviertel deswegen automatisch freundlicher? Ich kann hier nur spekulieren – und staunen. Zurück aber zum eigentlichen Thema, dem Flohmarkt.
Die Hinterhof-Flohmärkte in der Morellstraße & im Bismarckviertel am 18. Juni 2016
Parallel zum Flohmarkt im Bismarckviertel fand auch einer in der Morellstraße statt. Liegt ja auch nahe – wortwörtlich! Von 10 bis 15 Uhr (Bismarckviertel) bzw. 16 Uhr (Morellstraße) fanden die Hinterhof-Flohmärkte am Samstag statt.
Wie findet man nun aber die über 50 Flohmärkte, die ja doch gut versteckt sind? Indem man den bunten Ballons folgt! Es ist ein bisschen, als liefe man dem weißen Kaninchen hinterher: Du weißt nie, was kommt, wenn du um die Ecke in den Hinterhof biegst. Einmal ist es ein Gärtchen, dann wieder ein bezaubernder kleiner Werkschuppen oder das hübscheste Häuschen überhaupt.
Schnell war viel los; wer zeitig aufgestanden ist, um die schönsten Flohmarkt-Schätze zu finden, konnte sich bei Kuchen und anderen Häppchen bedienen – gegen einen kleinen Obulus oder for free. Getränke standen oft kostenlos bereit. In der Morellstraße gab es hier und da Live-Musik, durch die Von-der-Tann-Straße schallte scheppernde Musik mit satten Beats. Afrikanische, wie Verkäuferin Elisabeth erklärte. Es sollen auch potenzielle Käufer mit Erdbeerlimes für 50 Cent gefügig gemacht worden sein. An diesem Schild bin ich leider nie vorbeigekommen. Ich sah es erst nachträglich auf Twitter. Mich beschleicht das Gefühl, trotz der Ballons den einen oder anderen Flohmarkt leider verpasst zu haben.
Die Leute: Allesamt freundlich und, das ist im Bismarckviertel so üblich und für Flohmarkt-Käufer ungemein praktisch, recht geschmackvoll und stylish. Immerhin wohnen da viele Designer und Kunstschaffende. Ein bisschen blutete ihnen vielleicht das Herz, wenn ich handelte. Und der einen Mutter wohl ganz besonders, die ihren Jungen handeln ließ und der mir „1 Euro“ anbot, als ich „Einsfuffzich“ sagte. Am Schluss waren aber alle glücklich – und der Kleine hatte mit etwas Glück für den restlichen Tag seine Ruhe und musste keine weiteren Verkäufe abschließen.
Was es (nicht) alles gab auf dem Hinterhof-Flohmarkt!
– Ihr könnt alle Bilder auch groß klicken –
&
Wenn ich ein Bild entfernen soll, weil Ihr da ein Weihnachtsgeschenk für Eure Liebsten kauft oder so, dann meldet Euch einfach oder schreibt einen Kommentar!
Klamotten, Schuhe, Taschen
Schmuck & Accessoires
für gefühlt 50 % Frauen, 30 % Kinder & Babies, 20 % Männer
Bücher: Romane, Sachbücher, ganze Lexika-Reihen & Magazine (Boxen rappelvoll mit gefühlt allen Zeit- oder Süddeutsche-Magazinen, die es jemals gab) & Musik: Vinyl, CDs …
Vintage- und Design-Schätze: Geschirr, Gläser, Tassen – Vasen & Deko-Schnickschnack
und handgemachter Schmuck
ein ganz bezauberndes Fahrrad von Triumph
(wieso hab ich es nicht genommen??!?)
immer wieder: alte analoge Kameras mit viel Charakter
Spielzeug:
Kuscheltiere, Traktoren, Barbies, Ponys, Playmobil, aus Holz, Kartenspiele, Brettspiele …
& natürlich auch hier und da Plastik-Ramsch, bei dem man sich fragt, warum der auf einem Flohmarkt und nicht gleich im Müll landet, aber der war zum Glück definitiv in der Unterzahl.
Also: Es gab so ziemlich alles. Sogar Katzen und Hunde. Leider waren die nicht verkäuflich. Kann es sein, dass das Bismarckviertel ein Katzenviertel ist? Ein Grund mehr für mich, da hinziehen zu wollen. Vielleicht hat die Katze auch die Connections, die das zulassen. (An alle heimatlosen Katzen aus dem Bismarckviertel: Besorge mir eine Wohnung, und ich geb Dir ein wundervolles Zuhause!)
Von dem unguten Gefühl, das mich die ganze Zeit begleitete.
Der Hinterhof-Flohmarkt, vor allem der im Bismarckviertel, ist also eine ganz wunderbare Angelegenheit: Das Viertel ist mit der fast hundertprozentigen Altbau-Quote einfach wunderschön und die Leute unglaublich freundlich. Trat jemand aus Versehen einem anderen auf den Fuß, was im Lauf des Vormittags immer häufiger passierte, als es sich füllte, oder verpasste ihm mit der neuen Errungenschaft eine Kopfnuss, kam sofort ein „Entschuldigung!“ – sogar von dem, der es abgekriegt hatte.
Auf meinem Nachhauseweg durchquerte ich jedenfalls gefühlt nicht Augsburg, sondern einen Kontinent: Spätestens am Kö ist da doch wieder der gewohnte Alltags-Stress mit desinteressierten Gesichtsausdrücken. Ich fuhr vorbei an peinlichen Junggesellinnen-Abschieden, ihre Ausstattung bestand aus 100 % Polyester und 68 % Alkohol. In meiner Straße schließlich bekam ich von einer Unbekannten grundlos den Scheibenwischer gezeigt. Vielleicht hatte sie was dagegen, dass ich den ganzen (hier wieder ernüchternd schmalen) Gehweg für mich beanspruchte, aber ich musste doch meine Sachen vom Flohmarkt nach Hause transportieren. Denn obwohl ich nichts wollte … Ihr kennt das.
Und dann spielte auch noch das Wetter mit und zauberte gewaltige Cumulus-Wolken. Das passte fast 1:1 zum Corporate Design der Veranstaltung von Mara Weil (sie hat übrigens unter anderem auch das fürs Stereowald-Festival gemacht). Das Ambiente war einfach perfekt, und wer gerne durch Flohmärkte stöbert und da neue Schätze entdeckt, ist dort allerbestens bedient. Das Dumme war bei mir dann nur, dass mich irgendwann ständig das Gefühl von taubenblauer, wasserschwerer Zuckerwatte im Magen begleitete. Sehnsucht nach Da-Wohnen. Haaaaach.
Schaff das erst mal als Viertel, dass sich alle, die dich besuchen, nach dir so verzehren! Ich bin mir verdammt sicher, dass das nicht nur mir so ging und heute bei Immoscout eine überproportionale Anfrage nach Wohnungen im Bismarckviertel läuft und ebenso viele Köpfe auf Tischplatten knallen.
Umso besser, dass die Macherinnen vom Hinterhof-Flohmarkt so viel positives Feedback erhalten haben, dass sie nächstes Jahr wieder einen organisieren wollen!
Warum Hofflohmärkte so wichtig sind
Nachfolgende Überlegungen stammen von Lisa, die auf Meetshaus, Haus Hof Kind und Familylife.rocks schreibt – und im Bismarckviertel lebt.
Ein Event mit Nebeneffekten
So ein Hofflohmarkt ist für ein Stadtviertel ein tolles Event mit verschiedenen Nebeneffekten. Als studierte Soziologin und Humangeografin habe ich heute beim Schlendern und Stöbern darüber nachgedacht.
Zum einen beteiligen sich Personen an dem Verkauf, die sich sonst nicht die Mühe machen, all ihre Flohmarktsachen in ein Auto zu packen und zu einem Markt zu fahren. Das Auspacken der Kellerkisten ist einfach viel bequemer, wenn man es vor der eigenen Haustür tut. So machen ganz andere Personengruppen an so einer Aktion mit als bei einem „normalen“ Flohmarkt. Dementsprechend sind auch die angebotenen Produkte andere und ein anderes Publikum wird angezogen. Es entsteht also eine völlig neue Mischung des Publikums – und das ist nie verkehrt, wenn man die Belebung eines Stadtviertels im Sinn hat.
Quartiersbelebung – für umsonst?!
Quartiersbelebung ist übrigens gerade ganz groß en Vogue: So gibt es einen eigenen EU-Fonds, der unter anderem die Belebung von Stadtteilen anregen soll, der sogenannte EFRE . Wie praktisch, dass bei so einem Hofflohmarkt keinerlei Kosten entstehen (sieht man einmal von den hübschen Flyern ab). Sonst müsste man sich glatt einmal hinsetzen und so einen EU-Fördermittelantrag ausfüllen. Erstaunlich übrigens, dass man es in einer deutschen Stadt schafft, so viele Menschen auf die Straße zu bringen ohne dass eine Anmeldung bei der Stadt nötig wäre. Die Hofflohmärkte sind ein Schlupfloch im deutschen Regulierungswahn, und so haben wir heute Abend ein kleines Schmunzeln der Anarchie im Gesicht …
Nachbarschaft stärken
Neben der ganz offensichtlichen Belebung der Straßen am Flohmarkt-Tag ist aber auch der Kontakt zwischen den Nachbarn eine großartige Sache. So haben wir bei vielen Leuten, die wir jeden Tag auf der Straße sehen, nun endlich mal erfahren, wo sie denn eigentlich wohnen. Besonders bei den Familien mit Kindern halte ich das für wichtig. Die verschiedenen kleinen und großen Notfälle, in denen das wichtig sein könnte, muss ich hier nicht extra ausführen. Und nebenbei bemerkt kommt man bei einem alten Fahrrad auch viel leichter ins Gespräch als bei einer flüchtigen Begegnung auf dem Weg zum Auto.
Das eigene Viertel neu entdecken
Als letzten Punkt möchte ich noch die Verbundenheit mit der eigenen Region erwähnen. Schließlich haben wir heute Winkel unserer Nachbarschaft gesehen, die wir sonst nie erforscht hätten. Da gibt es in zweiter Reihe noch kleine Häuser im Hinterhof oder geheime Wege zwischen den Häusern. Manchmal steht da unerwartet ein riesiger Baum oder es geht eine lange Auffahrt hinab, wo man eigentlich eine gerade Strecke vermutet hätte. Kurz gesagt: Wir haben unser Viertel noch einmal ganz neu kennen und schätzen gelernt einfach, weil es spannend war.
Dir fehlen noch Infos, Du willst nächstes Jahr auch mitmachen oder …?
Die kompletten Veranstaltungs-Infos und Teilnahmebedingungen stehen auf den Facebook-Seiten:
Hinterhof-Flohmarkt Bismarckviertel und Morellstraße
Ich habe übrigens noch mehr Bilder gemacht – die komplette Galerie findet Ihr im Bilderbuch!