Letztes Wochenende war ich in hoch offizieller Funktion im Gericht – das geht in Auxburg! Die Aufführungen von „Schuld & Bühne“ finden nämlich im Justizpalast statt, in einem echten Gerichtssaal. Der Angeklagte, der Richter und die Anwälte, die Zeugen und der Fall selbst sind nicht echt. Die Jury aber schon – denn dafür darf das Publikum herhalten. Vermutlich war auch deswegen das Urteil echt ernüchternd.
Der imaginäre Fall des Herrn Ach impliziert weitaus mehr als die Frage der Schuld bzw. der Freisprechung. Es geht um nicht weniger als die Fragen nach Identität und Persönlichkeit, aber auch das aktuelle Bestrafungssystem wird in Frage gestellt. Ich nehme also nicht zu viel vorweg, wenn ich verrate: Schuld & Bühne wirbelt einen so ordentlich durch wie die Herbststürme momentan.
Schuld & Bühne – Zum Stück
Thomas Ach sitzt hinter Gittern: Vor vier Jahren wurde er wegen Steuerbetrugs verurteilt. Nun, nach nicht ganz abgesessener Strafe, klagt Herr Ach seine vorzeitige Freilassung ein: Die Jahre im Gefängnis hätten ihm so zugesetzt und dadurch so stark verändert, dass er ein anderer Mensch geworden sei – Salomon. Wenn er nun wirklich ein anderer ist – dann stünde ihm die Freisprechung doch zu!
Es gilt nun zu klären, wer Herr Ach ist: Thomas oder Salomon, und ob diese Wesensänderung pure Spinnerei oder tatsächlich möglich ist und was das für die Justiz zu bedeuten hat. Hier würde immerhin ein Exempel statuiert. Die Psychologen legen ihre Gutachten bzw. Meinungen vor – ihre Methodiken könnten unterschiedlicher nicht sein; die Zeugen geben ihr Bestes, helfen aber leider nur wenig, da die meisten nur eine Seite von Herrn Ach kennen. Die Anwälte reden sich um ihre schwarze Kragen, um Worte ist hier niemand verlegen.
Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten, da sicher noch einige das Stück sehen wollen. Geschrieben hat es Leonie Pichler. Im Vorfeld fanden Workshops in der JVA statt, um authentisch agieren zu können. Leonie führt auch Regie, in der Dramaturgie erhielten die Bluespots Unterstützung von Oliver Brunner vom Theater Augsburg. Juristisch beraten haben Korbinian Grabmeier (den kennen wir doch!) und Alexander Rupflin.
Die Akteure…
Da wäre zunächstThomas/Salomon Ach, gespielt von Guido Drell, der selbst im Schweigen eine unglaubliche Präsenz hat; dann die beiden Anwälte Leif Eric Young – als Verteidiger von Ach – und auf der Gegenseite Claudia Kainberger, die sich beide pointiert verbal duellieren und beide auf ihre Weise perfekt junge, motivierte Anwälte darstellen. Besonders schön: Wenn sie über die Tische jagen. Da merkt man eben doch, dass Schauspieler auch übers Körperliche wirken können/wollen/sollen. Das ging im Gerichtssaal sonst natürlich schlecht.
Wer Abwechslung ins doch recht nüchterne Spiel bringt, sind der Richter, gespielt von Patrick Schlegel, der allein schon mit seiner Mimik und vollem Körpereinsatz für humorvolle Einlagen sorgt – sparsam dosiert, versteht sich. Andere Schauspieler wieder bringt das Publikum zum Schmunzeln, was die Stimmung wenigstens kurzfristig lockert. Sehr fachlich-sachlich fetzen sich dann aber wieder die beiden Psychologen David Czudnochowski und Anton Limmer um die richtige Behandlungsmethode, wir dürfen aber etwas grinsen, weil Anton so schön das „R“ rollt.
DIE Fragen…
In den wortreichen Diskussionen zwischen den Parteien stellen sich neben den juristischen Fragen hoch philosophische: Wer sind wir und warum? Was macht die Zeit mit uns? Wie stark können wir uns ändern? Ist das dann intrinstisch oder extrinsisch motiviert, führt da eines zum anderen? Und wenn ja, wäre das dann eine normale, gesunde Reaktion und ein Zeichen von Stärke – oder ist es doch eine gravierende psychische Störung, ein Krankheitsbild? Wenn von dem, der etwas begangen hat, nur noch die äußere Hülle übrig ist (die sich angeblich übrigens auch alle sieben Jahre komplett erneuert), kann man ihn dann dafür überhaupt noch belangen? Was würde so ein Urteil für das gesamte Justizwesen und uns alle bedeuten, wenn Salomon Ach gewönne? Oder ist das alles purer Unsinn und ein Versuch, so früher aus der Strafe rauszukommen?
Wir drehen uns im Kern natürlich vor allem um die Frage: Was stellt eine Verurteilung und die Bestrafung in Form eines Gefängnis-Aufenthalts mit dem Menschen an, was löst sie in ihm aus? Löscht sie ihn aus? Und könnten einen Schritt weitergehen und über den Begriff der Verurteilung an sich nachdenken: Urteile werden ja nicht erst im Gericht gefällt, sondern ständig in unseren Köpfen. Aber das führt jetzt zu weit.
Gleichzeitig wird die Behandlung in Gefängnissen kritisch hinterfragt: Was, wenn jemand eine falsche (psychologische) Behandlung erhält und dadurch wortwörtlich stillgelegt wird? Ist ja eine bequeme Lösung für die, die zu viel aufmucken. Aber ist das gerechtfertigt – und gerecht? Welchem Psychologen kann man trauen? Warum scheuen Psychologen so sehr den Begriff der Seele?
Werden Menschen in Gefängnissen im Laufe ihrer Strafe moralischer, können sie dort „zu besseren Menschen werden“, wenn sie doch oftmals mit Ungerechtigkeit und Aggression (von noch Schlimmeren rede ich lieber gar nicht erst) konfrontiert werden?
Wenn der Bezug zur Außenwelt fehlt, weil sämtliche Kontakte abbrechen – was passiert dann mit dem Inneren? Thomas Ach/Salomon nutzte die Zeit zur Reflektion, zur Weiterbildung, und fand – sei es aus Selbstschutz oder tatsächlich plötzlich erwachter tiefer Religiosität – zu Gott. Ist er – mit diesem Hintergrundwissen – ein religiöser Spinner, ein psychisch Kranker mit religiösen Ambitionen oder einfach jemand, der zu seiner Spiritualität gefunden hat?
Obwohl in meinen Augen eine Katharsis in so einer an den Grundfesten rüttelnden Situation grundsätzlich nicht abwegig erscheint, wird der Wandel von Thomas zu Salomon doch insgesamt recht argwöhnisch beäugt: Man traut dem Gefängnisaufenthalt nicht zu, einen Mann – der „doch so stark wirkt“ – so stark gebrochen zu haben. Müssten dann nicht alle so sein? Was wäre dann erst recht mit den Super-Soft-Sensiblen? Und jemand, der sich aus sich selbst heraus so stark verändert hat, der macht natürlich erst einmal Angst, weil er uns mit unserer eigenen Angst oder Fähigkeit vor bzw. zur Veränderung von uns selbst konfrontiert.
Denkt Euch mal sieben Jahre zurück: Wie viel habt Ihr mit dieser Version von Euch noch zu tun? Oder habt Ihr Euch eher kaum verändert? Warum? Wer werdet Ihr in sieben Jahren sein?
DIE Inszenierung…
Bluespot Productions inszenieren ja gerne „überall – außer im Theater“, möchte ich fast sagen: Ob im Planetarium, Möbelladen oder Hallenbad (unter Wasser natürlich). Oder auch direkt in der Tram.
Trotz der Inszenierung im Gerichtssaal finden kleine dramaturgische Sperenzchen wie Lichteffekte, Musik und auch Tanz- und Gesangseinlagen (von Capo di Capi) statt. Ob es dieses Elemente „braucht“, darüber kann man diskutieren; ich war über jedes erkennbar artifizielle Element dankbar, das bewusst gemacht hat: Alles nur Theater. Die Flashbacks aus Thomas’ Vergangenheit fand ich ungeheuer wichtig und geschickt integriert. Dank Videos konnten wir sehen, was räumlich oder zeitlich außerhalb unseres Fokus’ lag.
Insgesamt also …
… sehenswert! Lasst Euch hineinführen und -tanzen von den grazilen „Cowboys“/Polizistinnen!
Schuld & Bühne ist keine leichte Kost, sondern – Butter bei die Fische – durchaus anstrengend. Diese „Juristensprech“, auch wenn es fürs Theater aufbereitet wurde, macht wenig Freude. Da ist wenig Platz für Poesie und Spaß. Zudem ist man als Zuschauer aktiv gefordert: Nur dasitzen und zugucken gilt ja nicht, jeder soll am Schluss seine Stimme bzw. Hand erheben. Innere Prozesse sind während des Prozess’ also fortwährend gefordert. Enthalten gilt nicht! Da würde der Richter sonst wohl zum Joker werden.
Schuld & Bühne fühlt sich wie eine echte Verhandlung an. Ich bin beeindruckt, dass es geklappt hat, so viel Gerichts-Atmosphäre in etwas Fiktives zu bringen und enttäuscht davon, dass das Publikum, obwohl es ja eigentlich in einem fiktiven Stück saß, so ernüchternd real abgestimmt hat. In der Jury am Samstag waren tatsächlich 60% der „Jury“ für Thomas Ach, also gegen die vorzeitige Entlassung und für das aktuelle System der Bestrafung. Es ist jetzt hoffentlich unnötig zu erwähnen, für wen meine Hand hochgeschnellt ist?
Eine wortlose Miriam & noch ein Dankeschön
Wie Ihr wisst, schreibe ich gerne unmittelbar nach einer Veranstaltung (bei der Kulturbeiratssitzung mitten in der Nacht bzw. am frühen Morgen, am Stereowald-Wochenende zackdiwupp in der ersten Konzertnacht oder am Modular-Wochenende gleich noch am Sonntag). Worte wollen raus. Nach der Premiere musste ich das alles erst mal sacken lassen und die Worte überhaupt erst finden. Deswegen diesmal leider erst so spät. Aber die weiteren Termine stehen ja noch alle aus, Ihr verpasst also nichts!
Danke an dieser Stelle nochmal an Leonie bzw. das Team der Bluespots, dass ich den frei gewordenen Presse-Platz einnehmen durfte!
Termine & Links & so …
Die nächsten Aufführungen sind:
Samstag, 21.11.
Sonntag, 22.11.
Samstag, 28.11.
Sonntag, 29.11.
jeweils um 19.30 Uhr.
Zudem findet eine Podiumsdiskussion am 26.11. um 19 Uhr im Stadttheater statt.
Mehr dazu auf der Veranstaltungsseite auf FB.
Übrigens bleibt die dazugehörige Ausstellung im Gericht noch eine Weile hängen!
Bluespot Productions, Website, FB
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von © www.scissabob.de.
Grafik: © Nontira Kigle